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30.08.2023 | Batterie | Interview | Online-Artikel

"20-Gigawatt-Fabriken stellt kein Mittelständler alleine hin"

verfasst von: Thomas Siebel

7 Min. Lesedauer

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Europa produziert immer mehr Batteriezellen – auf Maschinen aus China. Im Interview erläutert Sarah Michaelis vom VDMA, dass die Uhr für den hiesigen Maschinen- und Anlagenbau tickt und welcher Maßnahmen es jetzt bedarf.

springerprofessional.de: Frau Michaelis, sind deutsche und europäische Maschinenbauer in der Batteriezellfertigung abgehängt?

Sarah Michaelis: Nein, so würde ich das nicht ausdrücken. Technologisch ist der europäische Maschinenbau sehr gut aufgestellt. Der Hauptgrund dafür, dass der chinesische Zulieferer als Fabrikausrüster genommen wird, ist, dass er als Generalunternehmer alles aus einer Hand anbieten kann. Er ist ein Turn-Key-Anbieter mit Referenzen in der Großserie. Das verspricht zum jetzigen Zeitpunkt die höchstmögliche Sicherheit.

In Europa gibt es keine Turn-Key-Anbieter?

Wir haben einen mittelständisch geprägten Maschinenbau aus hochspezialisierten Firmen, die kombinierbare Einzelgewerke bieten. In den letzten Jahren hat man allerdings erkannt, dass sich Firmen zusammentun müssen, denn 20-Gigawatt-Fabriken stellt kein Mittelständler alleine hin. Dabei geht es sowohl um die Verknüpfung der einzelnen Technologieschritte als auch um das Gesamtvolumen der Aufträge. Nur zusammen können die Unternehmen solche Großaufträge abwickeln. Aus genau dem Grund haben sich zum Beispiel Manz, Grob und Dürr zusammengetan.

Sind solche Verbünde von europäischen Mittelständlern auch preislich wettbewerbsfähig?

Mit den Preisen des Marktführers Wuxi Lead können wir nicht mithalten. Das ist ein riesiges Unternehmen, das Maschinen in Serie herstellt; gewissermaßen purzeln da die Maschinen vom Band. Das Unternehmen verkauft eine Einheitsmaschine zu einem sehr günstigen Preis. Ob das aber die beste Maschine ist, ist dann die zweite Frage.

Wie würden Sie sie beantworten?

Unser Maschinenbau hat das Potenzial, die Effizienz und die Prozesse zu verbessern. Wenn aber nur der Einkaufs- und Investmentpreis zählt, spielt uns das nicht in die Karten. Problematisch ist, dass zu stark auf die Investmentkosten geschaut wird und weniger auf die Betriebskosten. Das liegt auch an der mangelnden Erfahrung beim Betrieb solcher Fabriken.

Wie sollten sich europäische Hersteller und Maschinen- und Anlagenbauer darauf einstellen?

Wichtig ist der Dialog zwischen den Batteriezellfertigern und dem Maschinen- und Anlagenbau. Gerade in der Verfahrenstechnik gibt es Unternehmen, die noch nicht mit der Automobilindustrie zusammengearbeitet haben. Die fallen fast vom Stuhl, wenn sie nun die Lastenhefte der Automobilindustrie sehen. Ich bin mir sicher, dass solche sehr speziellen und expliziten Lastenhefte bei asiatischen Wettbewerbern nicht auf dem Tisch landen. Dort wird die Einheitsmaschine gekauft, während man bei unserem Sondermaschinenbau gewohnt ist, Sonderwünsche unterzubringen. Einerseits wird dann dem Maschinenbau vorgeworfen, dass er seine Anlagen mit den sprichwörtlichen goldenen Wasserhähnen versieht und Kosten unnötig in die Höhe treibt. Andererseits sind aus Sicht des Sondermaschinenbauers die goldenen Wasserhähne dran, weil sie im Lastenheft stehen.

Es hapert also an der Kommunikation.

Ja, es ist anders als in der Verbrenner-Automotive-Industrie, in der lange gewachsene Strukturen und Vertrauensbeziehungen zwischen den OEMs und den Maschinen- und Anlagenbauern existieren. Nun gilt es im Batteriebereich ein gegenseitiges Verständnis und Vertrauen aufzubauen, sonst verlieren wir hier in Europa den Anschluss.

Also, erstens, das Know-how ist vorhanden, zweitens, der Dialog muss verbessert werden …

… und drittens, es braucht Erfahrung in der Großserie – die fehlt natürlich. Wenn eine Firma das erste Mal eine Batteriezellfabrik aufbaut, dann kauft sie sich Sicherheit ein, indem sie einen etablierten Player mit dem Bau beauftragt. Es braucht Vertrauen und Risikobereitschaft, einen neuen Anbieter zu beauftragen. Das ist besser kalkulierbar, wenn ein Verständnis der Prozesse und eigene Erfahrungen vorhanden sind. Beim Bau einer zweiten Fabrik fällt es leichter ins Risiko zu gehen. Das spricht dafür, dann auch neue Anbieter mit reinzunehmen. Auf der anderen Seite hatte der Ausrüster der ersten Fabrik die Chance sich bereits zu etablieren.  

Womit rechnen Sie: Werden europäische Maschinenbauer beim Ausrüsten von Batteriezellfabriken überhaupt zum Zug kommen?

Wir haben den Hochlauf der Batteriezellfertigung in drei Wellen aufgeteilt. Die Fabriken der ersten Welle sind schon in Betrieb. Dann gibt es die zweite Welle; in der ist die Auftragsvergabe bereits durch. In der Hochlaufkurve wird es aber noch eine dritte Welle geben. Da geht es um Fabriken, die 2028 stehen sollen. Die Vergabe findet dann 2026 oder 2027 statt. Bis dahin müssen wir es geschafft haben. Ansonsten ist es das dann auch irgendwann gewesen.

Für den Maschinenbau schließt sich in der Batteriezellfertigung also allmählich die Tür?

Ja, wobei man auch differenzieren muss, denn besser sieht es für Unternehmen aus, die schon aktiv im Geschäft sind und Umsätze machen. Das sind vor allem unsere Maschinen- und Komponentenhersteller, deren Teile ja beispielsweise auch in Maschinen der asiatischen Marktführer stecken. Diese Firmen sind Anbieter von Lasertechnik, Vakuumequipment, Mess- und Prüftechnik oder Automatisierungstechnik. Ebenfalls gut aufgestellt sind wir bei allen Schritten nach der Zellfertigung, also im Module- und Packbereich.

In welchem Teil der Prozesskette hat der europäische Maschinen- und Anlagenbau besonderen Nachholbedarf?

Die Elektroden- und Zellfertigung selbst ist das Puzzleteil, in dem unsere Firmen vor allem Zugang zur Serienfertigung brauchen. Die Anbieter von Mischprozessen sind hier zum Beispiel schon gut aufgestellt. Ihre Technologie steht ganz am Anfang der Fertigung. Hier können Drittanbieter noch vergleichsweise gut eingebunden werden, ohne das ganze Linienkonzept umdenken zu müssen. In allen folgenden Einzelschritten gibt es aber auch Unternehmen mit Kompetenzen, die zum Teil bereits in kleineren Fabriken mit dabei sind. Es gibt ja nicht nur die 20-Gigawatt-Factories.

Es werden viele Mittel in die Erforschung der Batteriezellfertigung gesteckt. Bringt das die Industrie denn spürbar voran?

Zentral ist hier die Forschungsfertigung Batteriezelle FFB in Münster, die den Übergang zwischen Forschung und industrieller Anwendung flankieren soll. Wir arbeiten eng mit der FFB zusammen, aber auch mit anderen Forschungsinstituten wie dem PEM der RWTH Aachen und der BLB Braunschweig. Der größte Nutzen und Mehrwert der FFB ergibt sich allerdings erst dann, wenn die Infrastruktur fertig aufgebaut ist. In der Forschungslinie von UK BIC in Warwick können bereits heute Maschinen und Anlagen aus Europa gezielt auf ihre Großserienfähigkeit hin geprüft werden. Für die Maschinenbauer ist das eine wichtige Referenz. Die FFB kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem wir es schon geschafft haben müssen, in den Fabriken drin zu sein. Wenn das erreicht ist, bietet die FFB dann aber die Chance, die europäische Industrie und technologische Weiterentwicklungen voranzubringen.  

Also in der dritten Welle 2027 und 2028.

Ja. Auch dann wird es Forschungsfragen zu lösen geben. Ich glaube an das Konzept der FFB. Viele Maschinen- und Anlagenbauer wünschten sich schon jetzt eine fertige FFB.

Wie werden sich die Kosten in der Batteriezellproduktion entwickeln, auch vor dem Hintergrund der hohen Rohstoffpreise?

Bei den Rohstoffen ist es ein Blick in die Glaskugel. Das kann in die eine oder andere Richtung gehen. Das Feld ist stark politisch geprägt, und andere Länder haben es besser als wir geschafft, sich die Rohstoffquellen zu sichern. Umso wichtiger ist für uns deswegen das Recycling und eine Material effiziente Produktion. Die Kosten in der Fertigung werden durch Ausschüsse nach oben getrieben. Jeder Prozess muss also so effizient werden, dass so gut wie kein Material verloren geht.

Wie würde sich eine höhere Prozesseffizienz auf die Kosten auswirken?

Eine Batteriezellproduktion hat heute eine Ausschussrate von etwa zehn Prozent. Jedes Prozent Ausschuss in einer 10-Gigawatt-Factory kostet aufgrund des Materialwerts fünf Millionen Euro im Jahr. Dazu kommen alleine 10,5 Kilotonnen CO2-Emissionen aufgrund des Strombedarfs. Es lohnt sich also in vielerlei Hinsicht in Prozessoptimierung und Innovation zu investieren, um den Ausschuss zu senken. Im Moment beobachten wir aber, dass die Fabriken möglichst schnell hochgezogen und ans Laufen gebracht werden – völlig egal, wie effizient die Prozesse und wie hoch die Ausschüsse sind. Hauptsache, man kann den Markt mit eigenen Zellen besetzen. Prozessoptimierung wird im zweiten Schritt sicherlich relevanter.

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