Erste Karriereentscheidungen Jugendlicher und junger Erwachsener sind oft von Unsicherheit begleitet: Welche der vielfältigen Möglichkeiten ist die passende? Um aus vielen Studiengängen und Ausbildungsberufen auszuwählen, ist eine gute Exploration der Möglichkeiten wichtig. Gruppencoaching-Formate bieten hier eine wichtige Möglichkeit, um die ersten Karriereentscheidungen im Übergang von Schule ins Berufsleben oder in das Studium sowie auch später in der Studieneingangsphase zu treffen. Dieser Artikel zeigt anschaulich, dass dieses Format die Schüler:innen in ihrer Entscheidung unterstützen kann und sowohl in Präsenz als auch digital funktioniert.
In unserer modernen globalisierten und häufig digitalen Welt stellt die Fülle von Wahlmöglichkeiten eine große Herausforderung dar (Ostmeier et al. 2017; Kauffeld und Sauer 2019). Dies betrifft insbesondere junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die ihre ersten Berufswahlentscheidungen treffen und explorieren, welchen Weg sie nach der Schule einschlagen sollen (Super 1990; Manning 2002). Aktuell können Jugendliche aus mehr als 20.100 Studiengängen an Universitäten oder Fachhochschulen wählen. Fast 10.300 davon sind Bachelorstudiengänge (Hachmeister und Grevers 2019). Als Gründe des starken Anstiegs der Anzahl der Studiengänge sind (1) die Akademisierung von Berufsfeldern (z. B. Studiengänge zu Pflegewissenschaft), (2) die Interdisziplinarität (z. B. Systems Engineering aus den Ingenieurswissenschaften und der Informatik) sowie (3) vor allem aus Gesichtspunkten des Studierendenmarketings die Spezialisierung auf Trend-Themen (z. B. ein Studiengang zu Windenergie) oder (4) die Gewinnung bestimmter Zielgruppen, z. B. Frauen für MINT (das Ingenieurwesen wird zum Bioingenieurwesen, wobei Biologie ein Fach ist, das v. a. Frauen anspricht).
Neben den Studiengängen kommen 324 Berufsausbildungen (Bundesinstitut für Berufsbildung 2023) und verschiedene Möglichkeiten für Auslandsaufenthalte, Praktika, Freiwilligendienste oder Work and Travel hinzu, zwischen denen Jugendliche nach ihrer Schullaufbahn wählen können.
Anzeige
1 Mit Exploration zur Passung
Um zwischen der Vielfalt der Möglichkeiten gute Entscheidungen für sich zu treffen und die zentrale Entwicklungsaufgabe Berufswahl zu bewältigen (Dreher und Dreher 1985), müssen die Jugendlichen explorieren. Sie müssen eigene berufsrelevante Interessen und Fähigkeiten erkunden und gleichzeitig verschiedene berufliche Optionen kennenlernen, damit sie eine Passung zwischen ihrer Person und ihren Berufszielen herstellen können. Dabei sind persönliche Zielsetzungs- und Planungsprozesse bei der Berufs- und Studienwahl umso relevanter, je größer das Spektrum der Möglichkeiten ist, für die sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen entscheiden können.
Ohne eigene berufliche Erfahrung, auf die sie sich stützen können, werden Schüler:innen vor dem Abschluss mit externen und teils widersprüchlichen Erwartungen und Einstellungen konfrontiert (Sauer-Schiffer 2010). Parallel müssen sie weitere Entwicklungsaufgaben bewältigen, wie z. B. die Ablösung vom Elternhaus und die Entwicklung einer eigenen Identität und persönlicher Positionen (Neuenschwander et al. 2012). Zusätzlich wird diese Phase aus neuropsychologischer Perspektive erschwert, da der präfrontale Kortex (eine Hirnregion, die rationale Entscheidungen beeinflusst) erst zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr voll entwickelt ist. Das macht es für Jugendliche schwierig, rationale und gut durchdachte Karriereentscheidungen zu treffen (Costandi 2015).
Wie wichtig es ist, trotz dieser Herausforderungen zu explorieren, zeigt sich bei der Betrachtung der positiven Konsequenzen der Exploration: Je intensiver Schüler:innen explorieren, desto stärker ist ihre subjektive Sicherheit bei der Berufswahlentscheidung (Hirschi et al. 2011), desto eher finden sie einen für sich passenden Ausbildungsplatz oder eine weiterführende Schule (Kracke 2004; Neuenschwander 2008). Insbesondere eine niedrigschwellige Informationssuche vor Studienbeginn (z. B. Gespräche mit Dozierenden) eröffnet dabei die Möglichkeit, eine stärkere Passung zwischen gewählter Studienrichtung und den eigenen Interessen bzw. Fähigkeiten zu erzeugen (vgl. Kracke 2004). Ein ausgeprägtes fachliches Interesse bei der Studienfachwahl reduziert die Abbruchwahrscheinlichkeit (z. B. Fleischer et al. 2019), während eine extrinsische Studienwahlmotivation (z. B. vorwiegende Orientierung an der Arbeitsmarktlage und an Verdienstaussichten) sie erhöht (vgl. auch zusammenfassend Neugebauer et al. 2019). Interessenskongruente Studienfachwahlen zahlen sich hinsichtlich Studienerfolgskriterien wie Studienzufriedenheit und -leistung (Bai und Liao 2018; Nagy 2006) sowie Leistungskriterien im beruflichen Kontext (Nye et al. 2017) aus.
2 Studienabbruch vermeiden
Zeichen für die Unsicherheit bei der Studienwahl ist, dass fast jede:r dritte Studierende das Studium abbricht (Heublein und Schmelzer 2018; ermittelt unter Ausschluss der Fernuniversität Hagen und unter Bezug auf den Absolventenjahrgang 2016). Die Abbruchquote an Universitäten (32 %) ist dabei höher als an den Fachhochschulen (25 %). Im Master ist die Abbruchquote für Universitäten und Fachhochschulen auf gleichem Niveau und mit 19 % niedriger als im Bachelorstudium. Während sich international ähnliche Zahlen finden, zeigen sich Unterschiede zwischen den Fächergruppen. Die höchste Abbruchquote findet sich in Studiengängen mit hohen mathematischen Anteilen (Mathematik, Informatik mit um die 50 %), die niedrigste in Fächern mit hohen Eingangshürden (z. B. hinsichtlich der Abiturnote), wie der Humanmedizin oder Psychologie mit Werten um die 6 % Personen, die sich für eine duale Ausbildung entscheiden, lösen ihre Ausbildungsverträge zu 25 % vorzeitig auf (Bundesinstitut für Berufsbildung 2023).
Anzeige
Auch wenn ein Studienabbruch nicht per se negativ zu bewerten ist und für einen Teil der Studierende eine sinnvolle Neuorientierung darstellt, gehen sie doch oft mit Herausforderungen für das Individuum, die Hochschulen sowie die Gesellschaft einher. Für Studierende ist ein Studienabbruch oft eine negative Karriereerfahrung (z. B. Hoeschler und Backes-Gellner 2017). Abbrecher:innen haben im Vergleich zu Graduierten ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko und erzielen im späteren Berufsleben geringere Einkommen (vgl. zusammenfassend Neugebauer et al. 2019). In der hochschulpolitischen Diskussion ist zu bedenken, dass die Hochschulfinanzierung u. a. von Absolvierendenquoten abhängt (ebd.). Gesamtgesellschaftlich verursachen Abbrüche Kosten (Voelkle und Sander 2008; Schneider und Yin 2011; Heublein und Wolter 2011), binden Ressourcen und behindern die Behebung des Fachkräftemangels.
3 Der Einsatz der Hochschulen
Hochschulen sind angesichts hoher Studienabbruchquoten gefordert, Maßnahmen zu ergreifen, diese zu senken. Neben der Berufsorientierung, die v. a. auf passungstheoretische Annahmen setzt, wird der Fokus v. a. auf den Beginn des Studiums, die sogenannte Studieneingangsphase, gelegt.
Mit dem Ziel, eine hohe Passung zwischen den individuellen Fähigkeiten, Interessen, Einstellungen und Motiven auf der einen Seite und den Studienanforderungen bzw. -möglichkeiten auf der anderen Seite herzustellen, wurden an vielen Hochschulen Angebote wie Self-Assessments (Thiele und Kauffeld 2019), Brückenkurse (z. B. in den Ingenieurswissenschaften; Tieben 2019), Studieninformationstage und Studienberatungsangebote für Studieninteressierte etabliert (vgl. Neugebauer et al. 2019). Besonders vor und zu Beginn des Studiums ist die Qualität der Informationen, die potenzielle Studierende erhalten, ausschlaggebend, um ihre Studienabbruchswahrscheinlichkeit zu verringen (Aymans und Kauffeld 2015). Mit dem Ziel, die Studierenden zu Beginn des Studiums zu unterstützen, stellen sich Mentoringprogramme als probate Intervention zur Verringerung des Abbruchrisikos dar (vgl. Metaanalyse von Sneyers und De Witte 2018), die auf die soziale Integration abzielen. Die Einbettung in ein unterstützendes Umfeld kann zu Studienbeginn sowohl karriererelevante Faktoren wie die Selbstwirksamkeit und die Karrierewahlsicherheit beeinflussen (Wittner und Kauffeld 2021) als auch einen puffernden Effekt auf den Zusammenhang zwischen Studienwahlunsicherheit und Studienabbruchsintention haben (Wittner et al. 2019; vgl. Tinto 1993).
Im Folgenden wird dargelegt, wie Coaching-Programme in frühen Karrierephasen (vgl. Kauffeld et al. 2018) das Potenzial haben, die beiden zentralen Herausforderungen Kongruenz und soziale Einbindung zu adressieren. Diese gehen über Beratungs- und Mentoringansätze hinaus, indem sie Einzelne zu aktiv Handelnden werden lassen. Während die Beratung vor Allem bei der Erkundung der Umwelt hilft und teilweise auch die Auseinandersetzung mit sich selbst anregt, vernachlässigt sie oft den Fokus auf die Entwicklung von Problemlösefähigkeiten und Reflexion der Explorierenden. Auch Mentoring dient der Erkundung der Umwelt und beinhaltet Reflexion, während selbstinitiierte Problemlösungen und die Erforschung des Selbst oft hintenanstehen, da auf die Erfahrung anderer – der Mentor:innen – vertraut wird (Kauffeld et al. 2021).
4 Coaching als Maßnahme zur beruflichen Orientierung
Coaching könnte einen wertvollen Beitrag leisten, um die Berufswahl zu unterstützen. Coaching ist eine meistens dyadische, personenzentrierte, ergebnisorientierte und lösungsorientierte Form der Beratung, die auf die Entwicklung von berufsbezogenen Lern- und Leistungsprozessen durch die Förderung der Selbstreflexion und Selbstverantwortung der Klient:innen ausgelegt ist (DBVC 2022). Vor allem das Karriere-Coaching wird zur Klärung und Entwicklung konkreter berufsbezogener Ziele eingesetzt (Zimmermann 2003), und um Lösungen und Handlungsschritte für berufsbezogene Probleme oder neue Karriereschritte zu finden (z. B. Winkelmann und Siebrecht 2009; Kauffeld und Gessnitzer 2018). Coaching erhöht die Selbstwirksamkeit der Klient:innen (z. B. Baron et al. 2011; Evers et al. 2006; Grant 2014), die z. B. nach der sozialkognitiven Karrieretheorie (Lent et al. 1994) als wesentlich für die Ausbildung beruflicher Interessen, die Berufswahl (Lent und Brown 2006) und die Berufsentscheidung (Betz und Luzzo 1996; Guay et al. 2003) gilt. Coaching erfüllt alle wesentlichen Anforderungen an berufsorientierende Maßnahmen: (selbstinitiierte) Auseinandersetzung mit der Umwelt, intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Person, Möglichkeit zur Verbesserung der Problemlösungskompetenz und eine umfassende Reflexion des Prozesses (Hirschi 2011).
Obwohl ein wachsendes Interesse besteht, Coaching in immer früheren Karrierestufen zu etablieren (Devine et al. 2013; Iordanou et al. 2016; van Nieuwerburgh et al. 2012), sind Belege für die Effektivität in Bezug auf Personen in einem frühen Karrierestadium nur spärlich vorhanden (Foley und Bergquist 2013; Hirschi und Läge 2008; Passmore und Brown 2009). Die wenige Forschung zum Coaching von jungen Menschen konzentriert sich überwiegend auf Life-Coaching und fokussiert dessen Auswirkungen auf schulische Leistung sowie allgemeines Wohlbefinden: Im Rahmen des Sandwell-Projekts im Vereinigten Königreich wurde z. B. festgestellt, dass ein Coaching-Programm die Hoffnung und die Prüfungsleistungen der teilnehmenden 16-jährigen Schüler*innen verbessert (Passmore und Brown 2009). Grant et al. (2010) untersuchten die Auswirkungen eines Lebensberatungsprogramms über zehn Sitzungen für Oberstufenschüler:innen und stellten fest, dass die kognitive Widerstandskraft und Hoffnung sowie eine Verringerung der Depressionswerte durch das Coaching erreicht werden konnten. Oreopoulos und Petronijevic (2018) fanden eine signifikante Verbesserung der Kursnoten bei Universitätsstudierenden im ersten Jahr, die an einem einjährigen Coaching-Programm teilnahmen, das sich mit universitären Problemen befasste und von Studierenden durchgeführt wurde, die ebenfalls in einem grundständigen Studiengang immatrikuliert waren.
Trotz dieser ersten erfolgreichen Umsetzungen gibt es bisher nur wenige Karriere-Coaching-Interventionen für Personen in einem frühen Karrierestadium und daher kaum Forschung zu den Auswirkungen von Karriere-Coaching in dieser Lebensphase.
5 Berufsorientierende Gruppencoachings
Coaching findet meist in dyadischen Settings statt (Ward 2008). Eine Alternative bieten Gruppencoachings, an denen mehrere Personen mit ähnlichen Zielen gleichzeitig teilnehmen und die durch den Austausch voneinander lernen können (Thornton 2010). Die höhere Wirtschaftlichkeit von Gruppencoaching im Vergleich zum dyadischen Coaching ist ein wesentlicher Vorteil und erleichtert die Teilnahme auch für Personen und Organisationen, die sich ein Coaching sonst nicht leisten könnten (Britton 2010).
Ein weiterer Ansatzpunkt, um das Coaching für Menschen in einem frühen Karrierestadium bezahlbar zu machen, ist die Strategie, auf etablierte Coaches zu verzichten und stattdessen Studierende zu Coaches auszubilden (Peer-Coaching). Obwohl in der Praxis häufig argumentiert wird, dass Coaches Lebens- und Berufserfahrung brauchen, um andere angemessen unterstützen zu können, konnte gezeigt werden, dass es keine Unterschiede zwischen erfahrenen und unerfahrenen Coaches in Bezug auf den Erfolg der Klienten gibt (Graßmann et al. 2020; Sonesh et al. 2015). Dies könnte dem Umstand geschuldet sein, dass neben der Methodenkompetenz der Coaches vor allem ihre Feldkompetenz (d. h. ihre praktische Expertise in Bezug auf das Coaching-Thema) ein kritischer Faktor für den Coachingerfolg ist (Kauffeld und Gessnitzer 2018; Hurni 2016; Schermuly und Graßmann 2016; Schreyögg 2010). Studierende haben die beruflichen Herausforderungen ihrer Klienten in einem frühen Karrierestadium vor Augen, was die Coaching-immanente Arbeitsbeziehung auf gleicher Augenhöhe erleichtert. Außerdem entspricht der Ansatz, Studierende zu Coaches auszubilden, dem Wunsch vieler junger Menschen, bestmöglich qualifiziert zu werden, um sich den Herausforderungen einer sich ständig verändernden Arbeitswelt zu stellen und ihre Beschäftigungsfähigkeit und Karriereaussichten zu verbessern (Iordanou et al. 2016). Wie junge Coaches von einer entsprechenden Ausbildung profitieren können, zeigen eindrücklich die Ergebnisse von Jordan et al. (2017a).
Zusammengenommen existieren Forschungslücken hinsichtlich (1) der Effekte von Karrierecoaching für Personen in einem frühen Karrierestadium und (2) der Wirksamkeit von Gruppen-Coaching-Ansätzen (Brown und Grant 2010; Kets de Vries 2014).
6 Gruppencoachings im Projekt CHO1CE – Du hast die Wahl
Wie wichtig reflexive Formate bereits in frühen Karrieren – insbesondere vor der ersten Karriereentscheidung – sein können, zeigt das Projekt „CHO1CE – Du hast die Wahl“ sowie das Folgeprojekt CHO1CE+ (beide Projekte gefördert durch das MWK Niedersachsen). Das Ziel war es, insbesondere Schüler:innen anzusprechen, die aufgrund ihrer Herkunft seltener ein Studium in Erwägung ziehen, z. B. weil sie als erste in ihrer Familie ein Studium anstreben würden (First-Generation Studierende), eine Migrationsgeschichte haben oder aus der Jugendpflege kommen (sogenannte Care-Leaver).
Diese Gruppen sowie weitere interessierte Schüler:innen sollten bei der ersten beruflichen Orientierung und dem Einstieg in ein Studium durch Gruppencoachings an Schulen, die von Studierenden im Peer-Coaching-Format angeleitet wurden, unterstützt werden. Diese Coaches wurden zuvor durch erfahrene Psychologinnen ausgebildet und erlebten alle Inhalte auch in der Selbsterfahrung (Jordan et al. 2017b; Wittner et al. 2021). Der Ablauf der Sitzungen war teilstandardisiert konzipiert (vgl. Abb. 1): Innerhalb der ersten drei Sitzungen lag der Fokus auf der Selbstreflexion der Schüler:innen, in den folgenden drei Sitzungen konnten sie selbstständig weitere Informationen zu ihren Zielen suchen und in einer letzten Sitzung auf ihre Erfolge im Prozess zurückblicken sowie Pläne für die Zukunft schmieden.
×
Die Schüler:innen fokussieren sich häufig thematisch auf berufliche Entwicklung nach der Schulzeit („Ich möchte während des Coachings meine Stärken und Schwächen besser kennenlernen, um nach dem Coaching in der Berufswahl besser zurechtzukommen“), sowie auf Entscheidungsfindungen, welche Berufswahl passend für sie ist („Ich möchte herausfinden, ob das Informatikstudium zu mir passt“). Über die Projektlaufzeit konnten mehr als 560 Schüler:innen an den Gruppencoachings teilnehmen – davon etwa ein Drittel First-Generation-Studierende.
In einem Prä-Post-Design mit Kontrollgruppe wurde deutlich, dass mit den Coachings die Personen erreicht werden, die besonders auf ihrem Weg unterstützt werden können (Jordan et al. 2016). Die Teilnehmenden am Coaching zeigen, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, eine geringere berufliche Selbstwirksamkeitsüberzeugung, tun sich schwerer mit der Karriereplanung und sind unsicherer in Bezug auf ihren Stand der beruflichen Entscheidung. Alle drei karriererelevanten Faktoren können durch die Teilnahme an den Coachings signifikant gesteigert werden (berufliche Selbstwirksamkeitsüberzeugung (F (1, 97) = 5,72, p = 0,019, η2 = 0,056), Karriereplanung (F (1, 97) = 4,56, p = 0,035, η2 = 0,045), Stand der beruflichen Entscheidung (F (1, 97) = 3,93, p = 0,050, η2 = 0,039)). Diese Ergebnisse (Jordan et al. 2016) konnten auch mit späteren Stichproben repliziert werden (Sicherheit bzgl. der beruflichen Entscheidung: t (20) = 3,7596, p = 0,001, starker Effekt d = 0,92; Zufriedenheit bzgl. der beruflichen Entscheidung: t (18) = 1,8326, p = 0,042, mittlerer Effekt d = 0,50; Karriereplanung: t (19) = 2,1883, p = 0,021, kleiner Effekt d = 0,33; Wittner et al. 2021). Die Analyse der Zielerreichung über den Prozess zeigt einen starken statistisch signifikanten Anstieg über die Zeit (Coachingsitzungen) für die Gruppen der Schüler:innen (F (6, 48) = 10,24, p < 0,05, partielles η2 = 0,56) (vgl. Abb. 2).
×
7 Coachingerfolge – auch digital?
Bedingt durch die Pandemie wurde eine digitale Version (inhaltlich identisch zu den Präsenzcoachings) evaluiert (N = 62). Es konnte gezeigt werden, dass auch das niedrigschwellige und ortsunabhängige Angebot in einem prä-post-Design Erfolge zeigt. Wie auch im analogen Coaching-Format steigen die Kompetenz zur Karriereplanung t (32) = 2,681, p = 0,006, die Sicherheit bzgl. der beruflichen Entscheidung t (35) = 4,378, p = 0,000 sowie die Zufriedenheit bzgl. der beruflichen Entscheidung t (34) = 3,635, p = 0,000 signifikant im Verlauf des Coachings an. Die Zielerreichung ist vergleichbar mit den Ergebnissen aus den Präsenzcoachings: Auch hier gibt es einen starken, signifikanten Effekt über die Zeit (F (2,65, 39,71) = 23,36, p < 0,05, partielles η2 = 0,61). Um die Effekte des analogen und des digitalen Coachings miteinander zu vergleichen, wurden die Differenzen der Prä- und Post-Skalenmittelwerte berechnet und inferenzstatistisch gegeneinander getestet. Dabei unterscheiden sich die beiden Coachingversionen (Präsenz und digital) in fast allen Vergleichen nicht signifikant. In der digitalen Version berichteten Teilnehmende sogar einen höheren Wissenszuwachs (t (42,06) = 2,393, p = 0,021).
8 Gruppencoachings zu Studienbeginn im Projekt D1RECTION
Neben der positiven Wirkung eines Coachings zu Berufsorientierung können Studierende zu Studienbeginn durch Gruppencoachings unterstützt werden. Im Projekt D1RECTIONS wird die Wirksamkeit eines Gruppencoachings in der Studieneinstiegsphase untersucht. Wie bereits im Prozess von CHO1CE werden zunächst Ziele festgelegt (vgl. Abb. 3 zur Prozessübersicht). Im Verlauf beschäftigen sich die Studierenden mit ihrer Vision der Zukunft und wie sie diese erreichen können (Sitzung 2), mit individuellen Übungen zu ihren Ängsten und Sorgen, Werten und Stärken (Sitzung 3), und ihrem sozialen Netzwerk (Sitzung 4). Auch in diesem Prozess bleibt Raum für Informationseinheiten, die selbst – je nach Anliegen – gestaltet werden: eine freie Sitzung (Sitzung 5) und Workshops nach Wahl (Zeitmanagement und Stress oder Lernen an der Hochschule; Sitzung 6). Die letzte Sitzung (Sitzung 7) dient auch hier dem Rück- und Ausblick auf die kommenden Schritte nach dem Coaching. Zwei Follow-Up-Treffen ermöglichen eine weitere Reflexion und Rückfallprophylaxe nach Abschluss des Prozesses.
×
Erste Ergebnisse zeigen, dass die Coachees sehr zufrieden mit dem Coachingprozess sind (MW= 5,24, SD = 1; auf einer 6‑er Likert-Skala). Auch die Nützlichkeit für das Studium (MW= 4,43, SD = 1,16), das erworbene Wissen (MW= 4,54, SD = 1,17), die Anwendung für das Studium (MW= 4,16, SD = 1,18) sowie die Verbesserung der Zufriedenheit mit dem eigenen Studienverlauf (MW= 4,17, SD = 1,44) bewerteten die Coachees positiv. Wie man in Abb. 4 gut erkennen kann, steigt die durchschnittliche Zielerreichung der Coachees auch in diesem Projekt von Sitzung zu Sitzung an.
×
9 Fazit und Ausblick
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass (Gruppen‑) Coaching für Menschen in frühen Karrierephasen praktikabel und effektiv ist. Der Erfolg des gesamten Coachingprozesses hinsichtlich wesentlicher karriererelevanter Variablen sowie der stetige Anstieg der Zielerreichung zeigen, dass das Coaching in frühen Karrierephasen zur Berufsorientierung oder zum Studieneinstieg hilfreich ist. An der Entwicklung der Zielerreichung ist zu erkennen, dass die verschiedenen Bestandteile einen Beitrag zur Zielerreichung leisten und der gesamte Prozess für eine hohe Zielerreichung wichtig zu sein scheint.
Die berufliche Exploration, die mit dem Gruppencoaching unterstützt wird, bezieht sich zum einen auf die eigene Person, d. h. die Erkundung der eigenen berufsrelevanten Interessen und Fähigkeiten. Zum anderen bezieht sich Exploration auf das Kennenlernen verschiedener beruflicher oder studienspezifischer Optionen. Im Gruppencoaching wird die Selbstreflexion über die eigene Person (z. B. Interessen, Werte, Fähigkeiten) angeregt. Die Arbeitswelt (z. B. Berufsfelder, bereichsspezifische Aufstiegsmöglichkeiten) oder über das Studium werden hinsichtlich verschiedener Facetten eruiert. Laufbahn- bzw. studienbezogenes Verhalten (z. B. Vorgehen bei der Informationssuche, Freundschaften aufbauen im Studium) wird erprobt, und eine handlungsfokussierte Erkundung und Auseinandersetzung mit dem Berufsleben bzw. Studium werden aktiviert.
Ein Studium führt dabei oft nicht nur zu einem Berufsbild. Somit stehen die Studierenden vor der Herausforderung, im Laufe des Studiums eine für sich selbst passende berufliche Perspektive zu entwickeln. Neben der Aufnahme einer Ausbildung oder eines Studiums sowie der Orientierung in dieser Qualifizierungsphase können weitere Karrieretransitionen wie der Eintritt in eine Organisation nach Abschluss eines Studiums, der Wechsel zwischen Arbeitgebenden (sog. organisationale Mobilität) oder auch der Übertritt von der Erwerbslosigkeit oder einer Familienzeit in eine erneute Erwerbstätigkeit oder transformationsbedingte Up- und Re-Skilling-Maßnahmen (vgl. Kauffeld 2024) durch Coachingformate begleitet werden.
Mit den Gruppencoaching-Angeboten werden die Zielgruppen gut erreicht. Dabei ist bemerkenswert, dass mit der digitalen Variante des berufsorientierenden Gruppencoachings vergleichbare Resultate erzielt werden konnten. Die Rückmeldung der Teilnehmenden und interessierten Schüler:innen zu den Präsenz- und digitalen Coachings zeigen jedoch, dass auch niedrigschwelligere Formate sehr gefragt sind. Während sieben Sitzungen für einige Personen hilfreich und wichtig sind, wünschen sich andere einen geringeren Zeitaufwand. Für den Studieneinstieg wird daher ein niedrigschwelliges Onboarding-Tool konzipiert (vgl. auch Schilling et al. 2022). Es ermöglicht allen Studierenden zu selbstgewählten Zeiten und von überall eine Unterstützung bei ihrem Studieneinstieg. Das digitale Tool umfasst v. a. Informationseinheiten und Mikro-Interventionen als Selbstreflexionen, die als Wise-Interventionen (Walton 2014; Walton und Wilson 2018) konzipiert sind, die auf empirisch gestützten Theorien basieren, mit denen auch die psychologisch zugrunde liegenden Prozesse geklärt werden können.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Die Zeitschrift OSC ist ein internationales Diskussionsforum für eine qualifizierte Beratungspraxis. OSC widmet sich Innovationen in der Organisationsberatung, in der Supervision und im Coaching.