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07.12.2020 | Funktionswerkstoffe | Schwerpunkt | Online-Artikel

Perowskite geben letzte Geheimnisse preis

verfasst von: Dieter Beste

4:30 Min. Lesedauer

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Bevor Perowskite übliche Silizium-Solarzellen ersetzen können, müssen Wissenschaftler noch viele Fragen beantworten. In den Labors gelten sie dennoch längst als das Nonplusultra. Und die Intensität der Perowskit-Forschung nimmt allenthalben zu. 

Eigentlich sind Perowskite seit Langem bekannt, auch wenn sie vielen immer noch neu und rätselhaft erscheinen. "Die Entdeckung dieser Materialklasse steht in engem Zusammenhang mit der berühmten wissenschaftlichen Reise Alexander von Humboldts durch den asiatischen Teil Russlands, die auf Einladung von Zar Nikolaus I. stattfand", berichtet Luis Ortega-San-Martin im "Introduction to Perovskites: A Historical Perspective". Die Reise im Jahr 1829 hatte zum Ziel, das geologische, geographische und biologische Wissen über das riesige Land zu erweitern. Mit dabei war Gustav Rose, Experte für Geologie und Mineralogie von der Berliner Universität, der heutigen Humboldt-Universität. Seine Ausbeute waren einige seltsame Kristalle, die sich später im Berliner Labor als unbekanntes Mineral mit kubischer Symmetrie herausstellte, das sich aus Kalzium- und Titanoxiden zusammensetzte; er benannte es zu Ehren von Graf Lew Alekseewitsch von Perowskij einem seinerzeit bekannten russischen Aristokraten und Mineraliensammler. 

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Ortega-San-Martin zeichnet die Karriere des Materials von seiner Entdeckung bis zum heutigen "Perowskit-Boom" facettenreich nach – es ist nicht der erste: In den späten 1980er Jahren standen Perowskite im Zentrum der Forschung zu den Hochtemperatur-Supraleitern und Mitte der 1990 Jahr setzte erneut in den Laboren ein Run auf diese Materialien ein, als man deren Magnetowiderstands-Eigenschaften intensiv erforschte. Doch all das ist nichts im Vergleich zur Flut der wissenschaftlichen Veröffentlichungen seit etwa acht Jahren zu Perowskiten als Werkstoff für Solarzellen. "Wir befinden uns in der Tat in einer explosiven Ära der Forschung, deren Aufregung ein breiteres Publikum erreicht hat", konstatieren die Herausgeber von "Revolution of Perovskite" in ihrem Vorwort.

Voraussichtlich wird uns "Perwoskit" schon bald so flüssig über die Lippen gehen wie "Silizium", dem aktuell zentralen Material in Elektronik und Photovoltaik. Hartmut Frey führt in "Energieautarke Gebäude" ab Seite 180 einige Argumente an, warum Perowskite die Photovoltaik revolutionieren könnten – die besondere Potenz für die Solarzellen-Anwendung sei in deren Kristallgittern verborgen: "Trifft ein Lichtteilchen darauf, regt es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Elektron an. Im Perowskit sind diese freien Elektronen sehr langlebig und lassen sich dann als elektrischer Strom abgreifen. Man benötigt kein besonders reines Material wie etwa bei Silizium, um effiziente Solarzellen herzustellen. Die notwendige Reinheit von Silizium ist der Hauptgrund dafür, dass bei herkömmlichen Solarzellen sehr viel Energie für die Produktion nötig ist." Und Peter Kurzweil präzisiert in "Angewandte Elektrochemie" (Seite 230):

Solarabsorber mit verzerrten Perowskitgittern ABX3 versprechen eine Alternative zur hochreinen Siliciumtechnik: mit einstellbaren Bandlücken und Wirkungsgraden über 25 %. Noch befinden sind die Zellen im Forschungsstadium, sind kurzlebig und enthalten Schwermetalle, z. B. CuPbI2, (CH3NH3)PbBr3, (CH3NH3)SnI3. Bei Feuchteeinfluss wird Bleiiodid aus (CH3NH3)PbI3 frei, das Methylammonium- und Iodidionen enthält. Im CsPbI3 bauen eckenverknüpfte [PbI6] Oktaeder ein kubisches Gitter auf."

Wie sich Ladungen in Perowskit-Solarzellen bewegen, haben Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Polymerforschung (MPI-P) in Mainz unter die Lupe genommen: Wenn sich ein angeregtes Elektron in einem Siliziumhalbleiter bewegt, hinterlässt es ein Loch, das wie eine positive Ladung wirkt und sich in entgegengesetzter Richtung durch das Solarzellenmaterial bewegt. Solarzellen auf der Basis von Perowskit-Materialien enthalten zusätzlich geladene Ionen, die sich ebenfalls in der Solarzelle bewegen und mit Elektronen und Löchern wechselwirken. In diesem komplexen Wechselspiel, so die Mainzer Wissenschaftler, sei es wünschenswert, Elektronen oder Löcher so schnell wie möglich zu den Kontakten der Solarzelle zu transportieren. Denn je länger sie im Material verblieben, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Energie wieder in das Material zurückgeben. 

Elektronen- und Lochbeweglichkeit

Um nun diese Zeit zu optimieren, sei es wichtig, die Geschwindigkeit von Elektronen und Löchern genau zu kennen, die bislang jedoch in einer Solarzelle wegen des komplexen Wechselspiels zwischen Elektronen, Löchern und sich langsam bewegenden Ionen nur schwer zu ermitteln war. Gert-Jan Wetzelaer, Gruppenleiter am MPI-P, hat jetzt mit seinem Team in einer Kombination aus Experiment und Computersimulation neue Einblicke in diese mikroskopischen Vorgänge gewinnen können. Die Wissenschaftler berichten über ihre Ergebnisse in "Nature Communications". Unter anderem haben sie herausgefunden, dass sich die Löcher langsamer bewegen als ursprünglich angenommen. "Diese Ergebnisse sind sehr wichtig, um in Zukunft den Wirkungsgrad von Solarzellen optimieren zu können", sagt Wetzelaer. "Denn wenn wir die genauen Vorgänge, die die Beweglichkeit von Elektronen und Löchern einschränken, genauer verstehen, können wir nach Möglichkeiten suchen, sie zu umgehen".

Grundlegende Transportmechanismen aufgeklärt

Ebenfalls in "Nature Communications" findet sich aktuell ein Forschungsbericht aus den technischen Universitäten Chemnitz und Dresden, in dem die Beteiligten darüber berichten, wie es ihnen gelang, die ionische Defektlandschaft in Metallhalogenid-Perowskiten zu enthüllen. "Eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Studie ist die Aufklärung des komplizierten Wechselspiels zwischen den ionischen und elektronischen Landschaften in Perowskit-Materialien", sagt Yana Vaynzof, Professur für Neuartige Elektronik-Technologien sowie Center for Advancing Electronics Dresden – cfaed an der TU Dresden. "Durch die Veränderung der Dichte der verschiedenen ionischen Defekte in Perowskit-Materialien beobachten wir, dass die Diffusionsspannung und die Leerlaufspannung der Bauelemente beeinflusst werden. Dies unterstreicht, dass das Defekt-Engineering ein mächtiges Werkzeug ist, um die Leistung von Perowskit-Solarzellen über den aktuellen Stand hinaus zu steigern."

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