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2022 | Buch

Russlands Angriff auf die Ukraine

Ökonomische Schocks, Energie-Embargo, Neue Weltordnung

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Über dieses Buch

Diese Studie beleuchtet und analysiert die aktuellen Perspektiven der Weltwirtschaft vor dem Hintergrund des Russland-Ukraine-Krieges. Mit dem Angriffskrieg Russlands am 24. Februar 2022 ergibt sich eine Zeitenwende. Gegen Russland haben viele Länder umfassende Sanktionen verhängt, nicht immer durchdacht. Große Flüchtlingsbewegungen und zugleich starke Energiepreis- und Weizenpreis-Erhöhungen sowie hoher Inflationsdruck ergeben sich weltweit. Von Seiten einiger Ökonomen ist ein deutsches und EU-seitiges Gas-Importembargo gegenüber Russland vorgeschlagen worden – bei überschaubaren ökonomischen Effekten. Diese Sicht ist zweifelhaft, zumal mit Gegenmaßnahmen Russlands bei einem Boykott von Energieexporten zu rechnen ist. Bei der Russland-Analyse des Westens gibt es kritische Punkte; Putins neue Ideologie war seit 2016 erkennbar. Die Weltwirtschaft dürfte vor einem Zerfall in regionale Handelsblöcke stehen und die Wirkungsmacht wichtiger internationaler Organisationen ist gemindert: zum Nachteil von Wachstum, Innovation und Stabilitätsverankerung. Eine EU-Ukraine-Erweiterung ist als kritische Herausforderung zu sehen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Der Start des Ukraine-Russland-Krieges
Zusammenfassung
Der Ukraine-Russland-Krieg, der Ende Februar 2022 von Russlands Aggression begonnen wurde, hat zu beträchtlichen Waffenlieferungen durch Nato-Länder an die Ukraine plus Wirtschafts-Sanktionsmaßnahmen des Westens und dabei auch der EU geführt. Dazu gehören Eingriffe in die internationalen Finanzströme beziehungsweise die Fähigkeit einer erheblichen Zahl von Banken Russlands, am internationalen Zahlungsverkehr – etwa via SWIFT-Netzwerk – mitzuwirken. Hinzu kommt ein relativ umfassendes EU-Ölimport-Embargo gegenüber Russland, allerdings kein Embargo der EU bei Gas aus Russland.
Paul J. J. Welfens
Kapitel 2. Zeitenwenden im Ukraine-Russland-Krieg
Zusammenfassung
Die folgende Analyse befasst sich zunächst mit der „Wende“-Perspektive im russisch-ukrainischen Kontext, wobei insbesondere der Cyberwar ein relative neuer Aspekt des aktuellen Konflikts ist; darüber hinaus werden bilaterale Perspektiven auf den deutsch-russischen Handel und multilaterale Perspektiven untersucht. Es folgt ein Blick auf grundlegende Energiefragen für Europa und den Westen und die Frage, inwieweit ein deutscher Energieimport-Boykott gegen Russland – oder ein EU-Embargo – sinnvoll ist bzw. welche Auswirkungen hier zu erwarten wären. Anschließend wird der Fokus auf die Möglichkeit eines russischen Lieferboykotts gelenkt.
Paul J. J. Welfens
Kapitel 3. Der Westen und Russland – Beziehungsstille zwischen Großbritannien und Russland über Jahrzehnte
Zusammenfassung
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Zerfalls des Warschauer Paktes 1991 hatten der Westen und Russland drei Jahrzehnte Zeit, in Europa eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur zu entwickeln, wobei natürlich neben führenden europäischen NATO-Ländern auch die USA in entsprechende Verhandlungsprozesse einzubinden gewesen wäre. Der Ukraine-Russland-Krieg zeigt, dass das auf tragische Weise nicht gelungen ist. Besonders wichtig sind die US-Russland-Beziehungen, weil sich hier die alten Gegner des Kalten Krieges in veränderter Weise gegenüberstanden. Die Vereinigten Staaten sahen sich seit 1991 nicht mehr der Sowjetunion gegenüber, sondern einem neuen Russland, wobei es wichtige Fragen der Rüstungskontrolle gab, aber auch Kooperationsfragen: etwa beim Projekt einer internationalen Weltraumstation.
Paul J. J. Welfens
Kapitel 4. Energie-Perspektiven
Zusammenfassung
Wenn man sich für die EU27 die Importe bei Gas und Öl mit Blick auf die wichtigsten Lieferländer in 2020 beziehungsweise im ersten Halbjahr 2021 ansieht, so sieht man, dass bei Gas in 2021 der Anteil Russlands mit 46,8% (bezogen auf Drittländer-Importe von Gas) noch um 2,9 Prozentpunkte höher ausfiel als 2020. Norwegen, Algerien, die USA und Katar folgten mit Anteilswerten in 2021 von 20,5%, 11,6%, 6,3% beziehungsweise 4,3% (Abb. 8). Durch die Inbetriebnahme der North-Stream2-Gaspipeline zu Russland wäre der EU-Anteil bei Gas wohl auf über 50% bei Russland gestiegen. In der Wettbewerbspolitik der EU gilt ein Marktanteil von über 50% als Marktbeherrschungsproblem und man kann von daher schlecht nachvollziehen, warum Deutschland, Österreich, die Niederlande und andere EU-Länder das Projekt North-Stream 2 über viele Jahre politisch forciert haben.
Paul J. J. Welfens
Kapitel 5. Russland-Energieimport-Boykott durch Deutschland und die EU als Politikoption?
Zusammenfassung
Seitens mehrerer Wissenschaftler ist in einer Studie vom März 2022 untersucht worden, wie sich ein denkbarer Russland-Energieimport-Boykott durch Deutschland auf die Wirtschaft in Deutschland auswirken werde (Bachmann et al., 2022) – ein Rückgang des realen Bruttoinlandsproduktes um 0,5 bis (quasi gerundet) 3% wird dabei erwartet. Gegenüber dem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 4,5% in Deutschland in der Corona-Rezession 2020 erscheint das zunächst als ein erträglicher Preis für eine intendierte Schwächung der Wirtschaft Russlands und seiner Fähigkeit, die Militärausgaben zu erhöhen und den Angriffskrieg gegen die Ukraine fortzuführen. Man sollte allerdings bedenken, dass Russland einem Boykott bei den Energieimporten durch Deutschland seinerseits durch einen teilweisen oder vollständigen Lieferboykott bei Öl, Gas, Kohle und Getreide zuvorkommen könnte und Russland im Übrigen nicht länger in Deutschland absetzbare Mengen an Öl, Gas und Kohle mit Preisabschlägen im Rest der Weltwirtschaft verkaufen kann.
Paul J. J. Welfens
Kapitel 6. Russischer Gas-Lieferboykott gegen europäische Länder
Zusammenfassung
Bei Gas hat Russland in 2021 einen Weltmarktanteil von 17% verzeichnet, bei Erdöl von 13%. Russland hat Ende März auf die Weigerung westlicher Länder, Energieimporte aus Russland wie von Präsident Putin gefordert in Rubel zu bezahlen, mit einem Gasliefer-Boykott gedroht. Eine Goldman-Sachs-Studie von Anfang März hat einen solchen Fall – der als unwahrscheinlich eingestuft wurde – analysiert und folgende Hauptbefunde (bei drei Szenarios, wobei ein Szenario der Stopp von Gasexporten durch die Ukraine ist, ein weiteres Szenario einen Komplett-Lieferboykott in 2022 darstellt) ergeben; zunächst der Fall eines teilweisen russischen Lieferboykotts:
Paul J. J. Welfens
Kapitel 7. Asien- und Global-Effekte eines EU-Energieimport-Boykotts gegen Russland
Zusammenfassung
Falls sich Deutschland – oder die EU27 – zu einem umfassenden Energieimport- Boykott gegen Russland entscheiden sollte, wäre das ein historisch ziemlich einmaliger Fall von Wirtschaftskrieg, der die internationalen Öl-, Gas- und Kohlemärkte beträfe und Russlands Wirtschaft mittelfristig in verstärkte Schwierigkeiten brächte. Der EU-Entscheidung aus dem Juni 2022, den Import von Öl aus Russland in wenigen Monaten schrittweise weitgehend zu blockieren (mit einer Ausnahme für Ungarn), soll nach Angaben der Politik in Brüssel und Berlin die Kriegsfinanzierung Russlands deutlich schwächen. Diese Vorstellung ist allerdings eine Art leeres ökonomisches Märchen – Inhalt hätte dieses Märchen am ehesten bei Gasimporten aus Russland, wobei hier viele EU-Länder jedoch ökonomisch stark verletztlich sind; insbesondere Deutschland, Italien und einige osteuropäische Länder.
Paul J. J. Welfens
Kapitel 8. EU-China-Russland: Makroökonomische Aspekte, multinationale Unternehmen
Zusammenfassung
China hat sich an Sanktionen gegen Russland in den ersten drei Monaten 2022 nicht beteiligt. Allerdings könnte eine deutliche Unterstützung Russlands durch China mittelfristig ausbleiben, da die wirtschaftlichen Negativ-Effekte des Ukraine- Russland-Krieges sich auf China zunehmend negativ auswirken werden. Zunächst ist zu bedenken, dass die westlichen Sanktionen das Bruttoinlandsprodukt Russlands in 2022 um rund 9% voraussichtlich werden sinken lassen, was zunächst auch verminderte Exporte Chinas nach Russland bedeutet; zu erwarten ist, dass einige chinesische Unternehmen allerdings auch vermehrt nach Russland exportieren werden, da man verminderte Exporte des Westens und Japans sowie Koreas nach Russland wird ersetzen können.
Paul J. J. Welfens
Kapitel 9. Ukraine-Flüchtlinge und ukrainische Gastarbeiter in EU-Ländern sowie Effekte für die Ukraine und die Europäische Union
Zusammenfassung
Bis Ende Juni 2022 kann man von gut drei Millionen Ukraine-Flüchtlingen in Polen und etwa 700 000 Ukraine-Flüchtlingen in Deutschland ausgehen. Die Zahl der Ukrainer:innen in Polen erreichte damit fast 10% der Bevölkerung. Dabei gab es in der ersten Jahreshälfte 2022 in Polen, Deutschland und vielen anderen Ländern eine große private Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen aus der Ukraine.
Paul J. J. Welfens
Kapitel 10. Wichtige Ukraine-Emigrationsaspekte und EU-Erweiterungsrisiken bei der Ukraine
Zusammenfassung
Die Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU sind vielfältig, seitdem die Ukraine als selbstständiger Staat 1991 entstanden ist; nach dem Zerfall der Sowjetunion – in einer Volksabstimmung am 1. Dezember 1991 stimmten 90,3% der gültigen Stimmen für die Unabhängigkeit. Die Ukraine musste natürlich insbesondere ihre Beziehungen zu Russland regeln, aber auch die zu osteuropäischen Nachbarländern und zur EU, die ihrerseits die Ukraine als Element der EU-Nachbarschaftspolitik betrachtete. Schon relativ früh gab es ukrainische Gastarbeiter:innen, die in Polen und anderen osteuropäischen EU-Ländern Arbeit fanden.
Paul J. J. Welfens
Kapitel 11. Hilfszusagen für die Ukraine: Erfassung, Effekte, Problemperspektiven
Zusammenfassung
Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine, der am 24. Februar begann, hat der Ukraine massive Zerstörungen, den Tod Tausender Zivilisten und ukrainischer und russischer Militärangehöriger, sehr viele Verletzte sowie etwa sechs Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine im Zeitraum März-Juni 2022 gebracht. Darüber hinaus haben die westliche Welt sowie Japan, Südkorea, Australien und einige andere Länder eine Politik der aufeinanderfolgenden Wellen massiver Sanktionsmaßnahmen gegen russische Sektoren, Unternehmen und Einzelpersonen verfolgt. Bis Anfang Mai war das russische Militär bei der Eroberung ukrainischen Territoriums, vor allem im Osten und Süden der Ukraine, nur teilweise erfolgreich.
Paul J. J. Welfens
Kapitel 12. Szenario-Perspektiven
Zusammenfassung
Es ist schwierig, eine klare Entwicklung des weiteren Kriegsverlaufes in der Ukraine abzusehen. Die Kriegsziele Russlands sind relativ unklar; nicht ausgeschlossen ist, dass Russland der Ukraine den Weg zum Schwarzen Meer komplett abschneiden will, was eine Eroberung der Millionenstadt Odessa und weitergehende Geländegewinne durch die russischen Streitkräfte erforderte. Die über mehr als zwölf Wochen erfolgreiche Gegenwehr des ukrainischen Militärs und die insgesamt geringen Geländegewinne Russlands bis Ende Mai 2022 zeigen allerdings, dass die ukrainische Landesverteidigung teilweise recht erfolgreich ist.
Paul J. J. Welfens
Kapitel 13. Neue Weltwirtschaftsordnung
Zusammenfassung
Der Ukraine-Russland-Krieg ist ein politisch-ökonomischer Schock, den Russland als flächenmäßig größtes Land der Welt mit seinem Angriff ausgelöst hat. Russland mit seiner geografischen Spannweite Europa-Asien sorgt hier allein schon durch seine eigene Breite für weite internationale Schockwellen. Indem Russland den Krieg faktisch unmittelbar an der Nato-Ostgrenze führt, sind 30 Nato-Länder indirekt alarmiert; im Übrigen sind 27 EU-Länder (davon die Mehrzahl in der Nato) und Großbritannien plus die USA in besonderer Weise politisch und ökonomisch angesprochen.
Paul J. J. Welfens
Kapitel 14. Freihandel, Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie gehören zusammen
Zusammenfassung
Nato-Generalsekretär Stoltenberg hat auf dem Davos-Gipfel 2022 verlautbart, dass mit Blick auf den Ukraine-Russland-Krieg ein Widerspruch zwischen Freihandel und Freiheit bestehe. Das soll offenbar besagen, dass man seitens der Nato-Länder nicht auf die Regeln der Welthandelsordnung und des Multilateralismus setzen soll und tendenziell auf Handel mit Russland verzichten müsse; und wenn diese Logik so allgemein gelten sollte, dann kann es auch keinen Handel mit China geben – oder am Ende vielleicht auch keine Direktinvestitionen dort. Zwar gibt es mit China keinen Krieg des Westens; aber Chinas Führung achtet die Menschenrechte in einem Teil des Staatsgebietes nicht und vermutlich gibt es in Peking Blaupausen für einen Militärangriff auf Taiwan in naher oder ferner Zukunft.
Paul J. J. Welfens
Backmatter
Metadaten
Titel
Russlands Angriff auf die Ukraine
verfasst von
Paul J. J. Welfens
Copyright-Jahr
2022
Electronic ISBN
978-3-658-38855-3
Print ISBN
978-3-658-38854-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-38855-3