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2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

16. Schweigen als Kommunikation und die Paradoxien der Inkommunikabilität

verfasst von : Alois Hahn

Erschienen in: Horizonte der Kommunikation

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Viele Arbeiten von Peter von Moos leisten wichtige Beiträge zur allgemeinen Theorie der Kommunikation, nicht zuletzt auch zu eher paradoxen Formen des Kommunizierens wie dem Schweigen oder dem Geheimnis. Neben Aufsätzen, die ausdrücklich und systematisch solchen Fragen nachgehen, finden sich manche seiner diesbezüglichen Einsichten im Werk verstreut und präsentieren sich als obiter dicta in Kontexten, die mediävistischen Spezialfragen gewidmet sind, z. B. der Analyse eines Textes oder eines Autors.

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Fußnoten
1
Einige generelle Überlegungen zu diesem Thema habe ich angestellt in Hahn (1991b) sowie in Hahn (1997).
 
2
Den Hinweis auf das Zitat verdanke ich Peter von Moos (Brief vom 16.03.2006).
 
3
„Le silence éternel de ces espaces infinis m’effraie“ (Pascal 1976: 134). Die Frage wäre freilich, ob hier „silence“ eher mit „Stille“ oder eher mit „Schweigen“ zu übersetzen wäre. Denkbar wäre gewiß, daß Pascal die Stille der ewigen Räume als Schweigen, als Antwortverweigerung Gottes empfindet, der nicht mehr zu uns aus der Natur spricht. Ohnehin ist es merkwürdig, daß das Französische, ähnlich wie das Lateinische zwischen Stille und Schweigen semantisch nicht eindeutig unterscheidet.
 
4
Die Gäste freilich sind ohnehin Anlaß zur Aufweichung der strengen Schweigeregel. Sogar nach der Komplet, wo ansonsten (bei strenger Strafe) absolutes Stillschweigen angesagt ist: „exeuntes a Completoriis nulla sit licentia denuo cuiquam loqui aliquid. Quod si inventus fuerit quisquam praevaricare hanc taciturnitatis regulam, gravi vindictae subiaceat, excepto si necessitas hospitum supervenerit aut forte abbas alicui aliquid iusserit“ (Steidle 1978/42,8 und 9).
 
5
Luhmann und Fuchs haben gerade für die Liebeskommunikation das mit jeder Kommunikation verbundene Risiko der Ablehnung einer Offerte unterstrichen. Allerdings gehen sie davon aus, daß dieses Risiko eher zur Vermeidung von Fragen als zum Verzicht auf Antworten animiere: „Jede Kommunikation erzeugt also […] eine Bifurkation, verzweigt also die möglichen Anschlüsse in Annahme oder Ablehnung. Diese Alternative liegt voll innerhalb dessen, was angeschlossen werden kann; auch Ablehnung ist ja nur im Anschluß an vorherige Kommunikation und im Hinblick auf das durch sie Bestimmte möglich. Die mit Kommunikation erzwungene, im Verstehen von Kommunikation aktualisierte Alternative schließt dritte Möglichkeiten aus. Es wird keine Kommunikation zugelassen, die weder angenommen noch abgelehnt werden möchte. Das erstickt auch jeden Kommunikationsversuch, der voraussieht, daß im Falle der Annahme zuviel angenommen, zu viel Bindung erzeugt werden würde, während die Ablehnung, etwas, woran einem liegt, zerstören würden, weil sie dazu zwänge, nun die Ablehnung ihrerseits anschlußfähig zu prozessieren. So kann man die Frage, ‚Liebst du mich?‘ oft nicht beantworten, sie aber auch nicht durch Schweigen beantworten, weshalb es sich dann empfiehlt, sie gar nicht erst zu stellen“ (Luhmann und Fuchs 1984: 18).
 
6
Vielleicht wollte Watzlawick mit seiner berühmten Formel von der Unmöglichkeit des Nichtkommunizierens ja nur das sagen. Aber es ist jedenfalls gegen ihn daran festzuhalten, daß auch solche Deutungen unterscheiden müssen, zwischen Kommunikation und Wahrnehmung. Wenn ich jemanden, der im Schlaf spricht, belausche, werde ich die so gewonnenen Informationen anders deuten, wenn ich unterstelle, der Beobachtete habe wirklich geschlafen, sei also unfähig zu kommunizieren gewesen, oder aber annehme, er habe sich lediglich schlafend gestellt. Dann nämlich gehe davon aus, daß er eine Mitteilung machen wollte.
 
7
Daß nicht nur Unaussprechliches, sondern auch Unausgesprochenes der Logik der Aposiopese folgt, ließe sich gut auch bei Proust zeigen (vgl. Hahn1991a).
 
8
Die nach wie vor klassische Analyse von kommunikativen Rahmungen: Goffman (1974) und als eindrucksvolle Interpretation und Weiterführung Goffmans: Willems (1997). Zur Rolle des Schweigens vor allem: „Verlegenheit und Schweigen“ (Willems 1997: 376 f).
 
9
„Sie“ ist natürlich, wie wir bei von Moos lesen, vermutlich nicht die historische Héloise, sondern möglicherweise eine Konstruktion Abaelards oder eines „Abaelards“, die sich redigierend ihrer Texte bedient hat. Vielleicht darf man sich den Umgang „Abaelards“ mit den Texten von Héloise so vorstellen wie den Goethes mit denen von Marianne von Willlemer im West-Östlichen Divan in den Hatem-Suleika-Passagen?
 
10
Für diese Tendenz der paradoxen Kommunikation durch Kommunikation des Inkommunikablen zeugt bereits die Zusammenstellung der Kapitel im oben zitierten Werk von Luhmann und Fuchs (1984): „Vom Zweitlosen: Paradoxe Kommunikation im Zen-Buddhismus“, „Von der Beobachtung des Unbeobachtbaren: Ist Mystik ein Fall von Inkommunikabilität?“ und „Vom schweigenden Ausflug ins Abstrakte: Zur Ausdifferenzierung der modernen Lyrik“.
 
11
Vgl hierzu: Schulz-Buschhaus (1992: 132–151). Dort findet sich auch der Hinweis auf eine Deutung der futuristischen Lyrik von Octavio Paz, in der ebenfalls diese Tendenz zur Konzentration auf den „bindungslosen“ Signifikanten unterstrichen wird, also auf eine Lyrik, von der man sagen könnte, daß ihre Elemente sich auf die „basale Selbstreferenz“ (Luhmann) zurückziehen: „El poema futurista no se en-caminaba hacia el futuro sino que se precipitaba por el agujero del instante o se immobilizaba en una serie inconexa de instantes fijos. Eliminacion del tiempo como succesion y como cambio“ (Paz 1981: 171; zitiert nach Schulz-Buschhaus 1992: 148). Schulz-Buschhaus argumentiert sehr einleuchtend, daß die poetologischen Programme sowohl Barthes‘ als auch Marinettis eine besondere Form der Distinktionsstrategie der Avantgarde seien.
 
12
Zur gesamten Problematik vgl. Kruse (1984).
 
13
Die Übersetzung von pistière mit „Retorte“ scheint mir nicht besonders glücklich. Besser wäre vielleicht ‚Bedarfsanstalt‘. „Constamment le maître d’hôtel disait: Certainement M. le baron de Charlus a pris une maladie pour rester si longtemps dans une pistière. Voilà ce que c’est que d’être un vieux coureur de femmes. Il en a les pantalons. Ce matin, madame m’a envoyé faire une course à Neuilly. A la pistière de la rue de Bourgogne, j’ai vu entrer M. le baron de Charlus. En revenant de Neuilly, bien une heure après, j’ai vu ses pantalons jaunes dans la même pistière, á la même place, au milieu, où il se met toujours pour qu’on ne le voie pas“ (Proust 1954: Bd. 3: 190).
 
14
„Die Welt ist wahr für uns alle, doch verschieden für jeden einzelnen“ (Proust 1967: 252).
 
15
„Denn nicht eine Welt, sondern tausend Welten, fast ebenso viele wie es Augenpaare und denkende Hirne gibt“ (Proust 1967: 252).
 
Literatur
Zurück zum Zitat Assmann, J. (2005). Die Zauberflöte. Oper und Mysterium. München/Wien. Assmann, J. (2005). Die Zauberflöte. Oper und Mysterium. München/Wien.
Zurück zum Zitat Barthes, R. (1972). Le degré zéro de l’écriture. Paris. Barthes, R. (1972). Le degré zéro de l’écriture. Paris.
Zurück zum Zitat Flaubert, G. (1957). L'éducation sentimentale. Histoire d'un jeune homme. Paris Flaubert, G. (1957). L'éducation sentimentale. Histoire d'un jeune homme. Paris
Zurück zum Zitat Goffman, E. (1974). Frame Analysis. An Essay on the Organization of Experience. New York. Goffman, E. (1974). Frame Analysis. An Essay on the Organization of Experience. New York.
Zurück zum Zitat Hahn, A. (1983). Konsensfiktionen in Kleingruppen. Dargestellt am Beispiel von jungen Ehen. S. 210–232 in: F. Neidhardt (Hg.): Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien. Opladen. Hahn, A. (1983). Konsensfiktionen in Kleingruppen. Dargestellt am Beispiel von jungen Ehen. S. 210–232 in: F. Neidhardt (Hg.): Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien. Opladen.
Zurück zum Zitat Hahn, A. (1991a). Mißverständnisse und Irreführungen – oder die Logik des Unausgesprochenen bei Marcel Proust. S. 84–100 in: K. Hölz (Hg.): Marcel Proust. Sprache und Sprechen. Frankfurt am Main. Hahn, A. (1991a). Mißverständnisse und Irreführungen – oder die Logik des Unausgesprochenen bei Marcel Proust. S. 84–100 in: K. Hölz (Hg.): Marcel Proust. Sprache und Sprechen. Frankfurt am Main.
Zurück zum Zitat Hahn, A. (1991b). Rede- und Schweigeverbote. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 43: 86–105. Hahn, A. (1991b). Rede- und Schweigeverbote. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 43: 86–105.
Zurück zum Zitat Hahn, A. (1997). Soziologische Aspekte von Geheimnissen und ihren Äquivalenten. S. 23–40 in: A. Assmann, J. Assmann (Hg.): Schleier und Schwelle, Bd. 1: Geheimnis und Öffentlichkeit. Archäologie der literarischen Kommunikation V. München. Hahn, A. (1997). Soziologische Aspekte von Geheimnissen und ihren Äquivalenten. S. 23–40 in: A. Assmann, J. Assmann (Hg.): Schleier und Schwelle, Bd. 1: Geheimnis und Öffentlichkeit. Archäologie der literarischen Kommunikation V. München.
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Zurück zum Zitat Luhmann, N., Fuchs, P. (1989). Reden und Schweigen. Frankfurt am Main. Luhmann, N., Fuchs, P. (1989). Reden und Schweigen. Frankfurt am Main.
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Zurück zum Zitat Rushdie, S. (2006). Mein Beckett. Dichter des Lebens, nicht des Todes. FAZ vom 24.02.2006. Rushdie, S. (2006). Mein Beckett. Dichter des Lebens, nicht des Todes. FAZ vom 24.02.2006.
Zurück zum Zitat Schulz-Buschhaus, U. (1992). Die Geburt einer Avantgarde aus der Apotheose des Kriegs. Zu Marinettis Poetik der „Parole in libertá“. Romanische Forschungen 104: 132–151. Schulz-Buschhaus, U. (1992). Die Geburt einer Avantgarde aus der Apotheose des Kriegs. Zu Marinettis Poetik der „Parole in libertá“. Romanische Forschungen 104: 132–151.
Zurück zum Zitat Scudéry, M. d. (1979) (zuerst 1667). Mathilde (d‘Aguilar). Genf. Scudéry, M. d. (1979) (zuerst 1667). Mathilde (d‘Aguilar). Genf.
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Zurück zum Zitat Willems, H. (1997). Rahmen und Habitus. Zum theoretischen und methodischen Ansatz Erving Goffmans: Vergleiche, Anschlüsse und Anwendungen. Frankfurt am Main. Willems, H. (1997). Rahmen und Habitus. Zum theoretischen und methodischen Ansatz Erving Goffmans: Vergleiche, Anschlüsse und Anwendungen. Frankfurt am Main.
Metadaten
Titel
Schweigen als Kommunikation und die Paradoxien der Inkommunikabilität
verfasst von
Alois Hahn
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-42623-1_16