2 Methodik
2.1 Datengrundlage und Stichprobe
Die Überprüfung der Hypothesen erfolgte anhand der Ergebnisse einer Interviewstudie in acht mittelständischen deutschen Unternehmen, die in ihren Kernprozessen unter Einsatz virtueller Teamarbeit agieren. Alle Firmen stammen aus der IT-Branche mit Schwerpunkt auf Software-Entwicklung und Beratung.
Die Stichprobe umfasste 26 Fach- und Führungskräfte virtueller Teams. Zum Erhebungszeitpunkt arbeiteten die Teilnehmenden mindestens drei Jahre in virtuellen Gruppen und mindestens sechs Monate im gegenwärtigen Team. Sie verfügten somit über umfassende und aktuelle Erfahrungen mit virtuellen Wissensaustauschprozessen. Alle Befragten haben einen Universitätsabschluss oder eine einschlägige Berufsausbildung und arbeiteten zum Zeitpunkt der Erhebung in funktionsübergreifenden Positionen, u. a. in Führungs‑, Beratungs- und Entwicklungsfunktionen. 19 der 26 Befragten (73 %) waren männlich und 7 (27 %) weiblich. Ihr Alter lag zwischen 24 und 55 Jahren mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren (SD = 9,06). Die durchschnittliche Mitgliedszeit im aktuellen Team betrug 2,8 Jahre (SD = 1,94).
2.2 Datenerhebung
Die Datenerhebung basierte auf der Methode der kritischen Ereignisse (Critical Incident Technique, kurz: CIT) von Flanagan (
1954). Das allgemeine Ziel der CIT besteht darin, Verhaltensweisen zu sammeln, die bei positiven oder negativen Arbeitssituationen erfolgskritisch sind (Flanagan,
1954). Ursprünglich wurde die CIT zur Arbeitsplatzanalyse und zur Identifizierung von Kriterien entwickelt, die für eine erfolgreiche Arbeitsleistung entscheidend sind. Später wurde die CIT erfolgreich auf weitere organisationsbezogene Fragestellungen übertragen, bspw. Entscheidungsprozesse (Coetzer und Redmond
2011; Francis-Smythe et al.
2013; MacDonald et al.
2008), Führungserfolg (Hamlin und Patel
2017; Lekchiri et al.
2018) und teambezogene Kompetenzen (Irwin et al.
2016).
In der vorliegenden Studie stand die Erforschung erfolgreicher Wissensaustauschprozesse in virtuellen Teams im Fokus. Hierfür sollten die Teilnehmenden kritische Ereignisse beschreiben, in denen der Wissensaustausch besonders erfolgreich oder nicht erfolgreich verlaufen ist. Im Rahmen der Interviews wurden Erfolg und Misserfolg als zwei gegensätzliche Pole einer Dimension betrachtet, die anhand konkreter Ergebnisse des Wissensaustauschs bewertet werden können. Die Teilnehmenden beschrieben die Situationen virtueller Zusammenarbeit so konkret und umfassend wie möglich, inklusive Anlass, Verlauf und beteiligte Personen. Da die vorliegende Studie auf die Erfassung des Erlebens sozialer Präsenz abzielte, wurde der ursprüngliche Verhaltensfokus der CIT um kognitive und affektive Faktoren erweitert.
Die Interviews waren halbstrukturiert. Zwei Interviewerinnen folgten einem festgelegten Leitfaden und stellten dieselben offenen Fragen. Ein Pretest mit zwei Interviewpartnern diente der Testung des Verständnisses der Leitfragen und lieferte gleichzeitig die Grundlage für vertiefende Fragen zur detaillierten Beschreibungen. Ziel war eine möglichst konkrete Beschreibung der Ereignisse durch die Befragten. Die Schilderungen sollten das Gefühl auslösen, die Situation selbst beobachtet zu haben (Flanagan
1954). Die Interviews dauerten zwischen 30 und 60 min. Nach Erläuterung des allgemeinen Ziels der Studie wurden die Interviewpartner darauf hingewiesen, dass die Interviews streng vertraulich seien und ihre Namen nicht veröffentlicht würden. Zusätzlich wurden die Teilnehmenden um ihre Erlaubnis gebeten, die Interviews aufzuzeichnen. Alle Interviewpartner gaben ihr Einverständnis.
Nach der allgemeinen Einführung wurden die Interviewees gebeten: „Denken Sie an eine Situation in der Zusammenarbeit in Ihrem Team, in der ein erfolgreicher oder nicht erfolgreicher Wissensaustausch stattgefunden hat. Bitte versuchen Sie sich an das konkrete Verhalten der Teammitglieder und die Interaktionen zwischen den Teammitgliedern zu erinnern, die zu dem (nicht) erfolgreichen Wissensaustausch geführt haben. Beschreiben Sie diese Situation und das Verhalten der Teammitglieder möglichst genau.“
Um weitere Informationen über die jeweilige Situation zu erhalten, wurden nacheinander die folgenden Fragen gestellt: Welche allgemeinen Umstände führten zu diesem Ereignis? Welche Teammitglieder waren beteiligt? Wie hat sich die Situation entwickelt? Bitte erläutern Sie möglichst genau die Situation und wie sie diese erlebt haben. Was haben die Teammitglieder getan, damit der Austausch erfolgreich oder nicht erfolgreich verlief? Welche Konsequenzen hatte dieses Ereignis?
Im Anschluss an die Beschreibung der kritischen Ereignisse wurden die Teilnehmenden gebeten, das Ergebnis des Wissensaustauschs konkret zu benennen. Dies diente der Kontrolle der Interviewinstruktion. Abschluss der Interviews bildeten demografische Fragen zu Alter und beruflichem Hintergrund.
2.3 Datenanalyse und -auswertung
Insgesamt wurden ca. 1200 min Datenmaterial erhoben, transkribiert und mittels der Softwares MAXQDA Analytics Pro 2020 und SPSS 27 ausgewertet.
Für die Analyse des Auftretens sozialer Präsenz wurde eine quantitative Inhaltsanalyse (Neuendorf
2017) durchgeführt. Dafür wurde der Ansatz der strukturierenden Inhaltsanalyse nach Mayring und Fenzl (
2014) genutzt, welcher ein systematisches Verfahren zur deduktiven Kodierung qualitativer Daten bietet.
In einem ersten Schritt wurden die transkribierten Interviews in eine Liste kritischer Ereignisse umgewandelt, die übergreifende Analyseeinheiten darstellen. Im zweiten Schritt kodierten zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen unabhängig voneinander jeden Incident hinsichtlich des Auftretens der sozialen Präsenz. Grundlage bildete ein standardisiertes Kategoriensystem inklusive Kodierleitfaden. Das Kodiersystem basierte auf den theoretisch abgeleiteten Dimensionen sozialer Präsenz (vgl. Abschn. 1.3.2 und 1.3.3) und beinhaltete die folgenden sieben Kategorien inklusive Kodierregeln: 1a Wahrnehmung anderer Teammitglieder als reale Person, 1b Wahrnehmung der eigenen Person als realen Teil des virtuellen Raums, 1c Unmittelbarkeit, 2a gegenseitige Vertrautheit, 2b Teamkohäsion, 2c sozialer Komfort und 2d gemeinsames Verständnis. Die resultierende durchschnittliche Interrater-Reliabilität war zufriedenstellend (Cohens Kappa = 0,81). Alle Abweichungen wurden diskutiert bis ein Konsens erzielt wurde. Im dritten Schritt wurden für jede Kategorie Auftretenshäufigkeiten berechnet und die Anzahl der kritischen Situationen bestimmt, in denen diese Kategorie vorkam. Um das Auftreten der sozialen Präsenzkriterien über alle erfolgreichen und nicht erfolgreichen Wissensaustauschsituationen zu vergleichen, wurden Chi-Quadrat-Tests durchgeführt. Die Bewertung der Effektstärken erfolgt in Anlehnung an Cohen (
1988).
3 Ergebnisse
Die Interviewpartner schilderten jeweils zwei bis elf kritische Ereignisse zum Wissensaustausch in virtuellen Teams (M = 5,77, SD = 2,34). Insgesamt wurden von allen Teilnehmenden 148 kritische Ereignisse berichtet. Bei diesen handelte es sich um 90 (61 %) erfolgreiche und 58 (39 %) nicht erfolgreiche Wissensaustauschsituationen. Die Kategorien sozialer Präsenz konnten in insgesamt 92 der beschriebenen Situationen nachgewiesen werden. Dabei handelte es sich um 68 (74 %) erfolgreiche Situationen und 24 (26 %) nicht erfolgreiche Situationen.
Ein Chi-Quadrat-Test zur Analyse der Verteilung der Ereignisse, bezogen auf deren Bewertung (erfolgreich vs. nicht erfolgreich) und dem Auftreten sozialer Präsenz (nachgewiesen vs. nicht nachgewiesen), zeigt eine signifikante Ungleichverteilung (Χ
2 (1) = 17,51,
p = 0,006). Wie in Tab.
1 ersichtlich wird, wurde das Erleben sozialer Präsenz insgesamt häufiger in erfolgreichen Wissensaustauschsituationen berichtet als in nicht erfolgreichen Situationen.
Tab. 1
Verteilung der kritischen Ereignisse
Table 1
Distribution of critical incidents
Soziale Präsenz nachgewiesen | 68 | 24 | 92 |
Soziale Präsenz nicht nachgewiesen | 22 | 34 | 56 |
Kritische Ereignisse gesamt | 90 | 58 | 148 |
Für eine differenzierte Analyse des Auftretens sozialer Präsenz erfolgte für jede der sieben Kategorien sozialer Präsenz (1a Wahrnehmung anderer Teammitglieder als reale Person, 1b Wahrnehmung der eigenen Person als realen Teil des virtuellen Raums, 1c Unmittelbarkeit, 2a gegenseitige Vertrautheit, 2b Teamkohäsion, 2c sozialer Komfort und 2d gemeinsames Verständnis) die Bestimmung der Auftretenshäufigkeit in den kritischen Ereignissen. Dabei wurde zwischen erfolgreichen und nicht erfolgreichen Wissensaustauschsituationen unterschieden. In Tab.
2 sind die Ergebnisse dargestellt.
Die deskriptive Analyse zeigt, dass alle sieben Kategorien in den Daten nachgewiesen werden konnten. Zudem wurden die Kategorien sowohl in erfolgreichen als auch nicht erfolgreichen Situationen genannt. In den meisten Situationen konnte die Kategorie
1a Wahrnehmung anderer Teammitglieder als reale Person (
n = 48, 32 %) nachgewiesen werden, gefolgt von den vier Kategorien
2b Teamkohäsion in 41 (28 %) Situationen,
2c sozialer Komfort in 38 (26 %) Situationen,
2d gemeinsames Verständnis in 28 (19 %) Situationen und
2a Vertrautheit in 25 (17 %) Situationen. Die zwei Kriterien
1b Wahrnehmung der eigenen Person als realen Teil des virtuellen Raums und
1c Unmittelbarkeit konnten dagegen nur in 21 (14 %) bzw. 11 (7 %) der kritischen Ereignisse kodiert werden.
Tab. 2
Verteilung der Kategorien für Soziale Präsenz in den kritischen Ereignissen
Table 2
Distribution of social presence categories
Dimension 1: Technologiebasierte soziale Präsenz |
1a Wahrnehmung anderer Teammitglieder als reale Person | 48 (32 %) | 39 (43 %) | 9 (16 %) | 12,453 | 0,000 | 0,290 | 0,290 |
1b Wahrnehmung der eigenen Person als realen Teil des virtuellen Raums | 21 (14 %) | 17 (19 %) | 4 (7 %) | 4,166 | 0,041 | 0,168 | 0,168 |
1c Unmittelbarkeit | 11 (7 %) | 8 (9 %) | 3 (5 %) | 0,708 | 0,400 | 0,069 | 0,069 |
Dimension 2: Beziehungsbasierte soziale Präsenz |
2a Vertrautheit | 25 (17 %) | 21 (23 %) | 4 (7 %) | 6,788 | 0,009 | 0,214 | 0,214 |
2b Teamkohäsion | 41 (28 %) | 35 (39 %) | 6 (10 %) | 14,348 | 0,000 | 0,311 | 0,311 |
2c sozialer Komfort | 38 (26 %) | 31 (34 %) | 7 (12 %) | 9,253 | 0,002 | 0,250 | 0,250 |
2d gemeinsames Verständnis | 28 (19 %) | 20 (22 %) | 8 (14 %) | 1,634 | 0,201 | 0,105 | 0,105 |
Zur Überprüfung der Hypothesen (Tab.
3) wurden Chi-Quadrat-Verteilungstests durchgeführt. Für jede der sieben Kategorien wurde geprüft, inwieweit es signifikante Unterschiede in deren Verteilung in erfolgreich bzw. nicht erfolgreichen gab.
Eine differenzierte Analyse anhand der
p-Werte in Tab.
2 zeigt, dass die zwei technologiebasierten Kategorien
1a Wahrnehmung anderer Teammitglieder als reale Person (Χ
2(1) = 12,453; Φ = 0,290;
p = 0,000) und die
1b Wahrnehmung der eigenen Person als realen Teil des virtuellen Raums (Χ
2(1) = 4,166; Φ = 0,168,
p = 0,041) signifikant häufiger in erfolgreichen Ereignissen auftraten. Für die dritte Kategorie
1c Unmittelbarkeit wurde kein signifikanter Unterschied festgestellt (Χ
2(1) = 0,708; Φ = 0,069;
p = 0,400). Somit können die
Hypothesen 1a und
1b bestätigt werden: In erfolgreichen Wissensaustauschsituationen werden andere Teammitglieder sowie die eigene Person häufiger als reale Personen erlebt.
Hypothese 1c muss abgelehnt werden: In erfolgreichen Wissensaustauschsituationen wird die Unmittelbarkeit der Interaktion nicht häufiger berichtet.
Des Weiteren zeigen die Ergebnisse, dass die drei Kategorien beziehungsbasierter sozialer Präsenz 2a Vertrautheit (Χ2(1) = 6,788; Φ = 0,214; p = 0,009), 2b Teamkohäsion (Χ2(1) = 14,348; Φ = 0,311; p = 0,000) und 2c sozialer Komfort (Χ2(1) = 9,253; Φ = 0,250; p = 0,002) signifikant häufiger in erfolgreichen Ereignissen wahrgenommen wurden im Vergleich zu nicht erfolgreichen Ereignissen. Für die Kategorie 2d gemeinsames Verständnis zeigte sich dagegen kein signifikanter Unterschied (Χ2(1) = 1,634; Φ = 0,105; p = 0,201). In Folge können die Hypothesen 2a, 2b und 2c bestätigt werden: In erfolgreichen Wissensaustauschsituationen haben die Teilnehmenden häufiger gegenseitige Vertrautheit, Teamkohäsion und sozialen Komfort wahrgenommen. Hypothese 2d muss abgelehnt werden: Ein gemeinsames Verständnis wurde in erfolgreichen Austauschsituationen nicht signifikant häufiger wahrgenommen.
Die nachfolgende Tab.
3 beinhaltet einen Überblick über die Ergebnisse der Hypothesentests.
Tab. 3
Ergebnisse der Hypothesenprüfung
Table 3
Results of the hypothesis test
Dimension 1: technologiebasierte soziale Präsenz |
1a | In erfolgreichen Wissensaustauschsituationen werden andere Teammitglieder häufiger als reale Personen wahrgenommen als in nicht erfolgreichen Wissensaustauschsituationen | Bestätigt |
1b | In erfolgreichen Wissensaustauschsituationen nehmen sich Teammitglieder häufiger als realen Teil des virtuellen Raums wahr als in nicht erfolgreichen Wissensaustauschsituationen | Bestätigt |
1c | In erfolgreichen Wissensaustauschsituationen werden Interaktionen häufiger als unmittelbar wahrgenommen als in nicht erfolgreichen Wissensaustauschsituationen | Nicht bestätigt |
Dimension 2: beziehungsbasierte soziale Präsenz |
2a | In erfolgreichen Wissensaustauschsituationen wird gegenseitige Vertrautheit häufiger wahrgenommen als in nicht erfolgreichen Wissensaustauschsituationen | Bestätigt |
2b | In erfolgreichen Wissensaustauschsituationen wird Teamkohäsion häufiger wahrgenommen als in nicht erfolgreichen Wissensaustauschsituationen | Bestätigt |
2c | In erfolgreichen Wissensaustauschsituationen wird sozialer Komfort häufiger wahrgenommen als in nicht erfolgreichen Wissensaustauschsituationen | Bestätigt |
2d | In erfolgreichen Wissensaustauschsituationen wird ein gemeinsames Verständnis häufiger wahrgenommen als in nicht erfolgreichen Wissensaustauschsituationen | Nicht bestätigt |
4 Diskussion
Die Relevanz von Wissensaustausch für die erfolgreiche Zusammenarbeit in virtuellen Teams wird sowohl in der Forschung (Fang et al.
2014) als auch in der organisationalen Praxis immer deutlicher hervorgehoben. Insbesondere die Frage, wie Wissensaustausch in virtuellen Teams gefördert werden kann, ist in den letzten Jahren in den Fokus gerückt (Shah-Nelson et al.
2020). Einen wesentlichen Beitrag zur Unterstützung der Wissensübertragung und -vernetzung in E‑Learningformaten leistet die soziale Präsenz (Yilmaz
2017). Es steht zu vermuten, dass diese Ergebnisse auf virtuelle Teamarbeit in Unternehmen übertragbar sind. Die vorliegende Studie setzt an diesem Forschungsdesiderat an und untersucht die Bedeutung sozialer Präsenz für erfolgreichen Wissensaustausch. Die Forschungsfrage lautet: Welche Rolle spielt das Erleben von sozialer Präsenz für den Erfolg des Wissensaustausches in virtuellen Teams? Auf Grundlage einer umfassenden Kategorisierung theoretischer Konzepte und empirischer Befunde wurden für die zwei Dimensionen technologiebasierte und beziehungsbasierte soziale Präsenz und sieben Kategorien abgeleitet und ihre Bedeutung in kritischen Wissensaustausch Situationen analysiert. Dabei handelt es sich um einen ersten Beitrag der Integration unterschiedlicher Facetten sozialer Präsenz und deren Übertragung auf virtuelle Teams. Neben drei technologiebasierten Dimensionen (1a Wahrnehmung anderer Teammitglieder als reale Person, 1b Wahrnehmung der eigenen Person als realen Teil des virtuellen Raums und 1c Unmittelbarkeit) wurden vier beziehungsbasierte Dimensionen (2a Vertrautheit, 2b Teamkohäsion, 2c sozialer Komfort und 2d gemeinsames Verständnis) berücksichtigt und ihr Auftreten in 148 erfolgreichen und nicht erfolgreichen Wissensaustauschsituationen getestet.
Eine erste, übergreifende Analyse zeigt, dass in 92 der berichteten Situationen soziale Präsenz nachgewiesen werden konnte. Darüber hinaus belegt die Verteilung der Auftretenshäufigkeit, dass die Präsenzkriterien wesentlich häufiger in erfolgreichen Wissensaustauschsituationen berichtet wurden (n = 68, 74 %) als in nicht erfolgreichen Situationen (n = 24, 26 %). Das stützt die angenommene Bedeutung für erfolgreichen Wissensaustausch.
Bezogen auf die Dimension der technologiebasierten sozialen Präsenz konnten zwei der drei Hypothesen (1a und 1b) anhand der Daten belegt werden. Die Annahme der
Hypothese 1a zur
Wahrnehmung anderer Teammitglieder als reale Person bestätigt die Bedeutung der bewussten und gegenständlichen Wahrnehmung des Gegenübers für erfolgreichen virtuellen Wissensaustausch. Die Kategorie wurde signifikant häufiger in erfolgreichen Wissensaustauschsituationen beschrieben und konnte zudem in den meisten kritischen Ereignissen (
n = 48, 32 %) nachgewiesen werden. In virtuellen Settings ist die Wahrnehmung des Gegenübers stark von den technologischen Möglichkeiten und der Realitätsnähe des gewählten Mediums abhängig. In der menschlichen Kommunikation kommt jedoch besonders der Körpersprache eine herausragende Rolle zur Deutung von gesprochenen Inhalten zu (de Gelder und Hortensius
2014; Wang und Ruiz
2021). Mit der Bildübertragung wird die Mimik des Gegenübers sichtbar und ermöglicht ein zusätzliches Feedback zur verbalen Interaktion. Dies scheint besonders wichtig für den Erfolg des Wissensaustausches. Die häufige Nennung dieser Kategorie geht einher mit deren Priorisierung in vorangegangener Forschung, in der die Realitätswahrnehmung anderer Personen als zentrales Kriterium sozialer Präsenz betrachtet wird (Kreijns et al.
2014; Oh et al.
2018).
Die Bestätigung der zweiten
Hypothese 1b zur
Wahrnehmung der eigenen Person als realen Teil des virtuellen Raums belegt ebenfalls die Bedeutung der technologiebasierten Präsenzwahrnehmung für virtuellen Wissensaustausch. Das Gefühl vor Ort zu sein und sich als Teil des Teams wahrzunehmen ist zum größten Teil von den technologischen Gegebenheiten abhängig. Eine hohe Qualität der Bild- und Tonübertragung sowie der Zugang zu vielfältigen Kommunikationskanälen kann die physische Distanz in virtuellen Meetings ausgleichen (Karl et al.
2021).
Die dritte Hypothese 1c zur Rolle von Unmittelbarkeit der Interaktion für den Erfolg des Wissensaustausches konnte nicht bestätigt werden. Unmittelbarkeit wurde nur in 11 (7 %) kritischen Ereignissen nachgewiesen. Aufgrund der geringen Auftretenshäufigkeit scheint der Unmittelbarkeit insgesamt eine geringere Relevanz für Wissensaustausch in den untersuchten Teams zu zukommen. Dies deutet daraufhin, dass es wahrscheinlich von untergeordneter Bedeutung ist, ob der Wissensaustausch direkt oder indirekt stattfindet. Weitere Studien mit umfassenderen Datenerhebungen sind notwendig, um die Rolle der Unmittelbarkeit beim Wissensaustausch genauer zu analysieren.
Die Rolle der beziehungsbasierten Dimension sozialer Präsenz wurde mit den Hypothesen 2a, 2b, 2c und 2d getestet. Drei der vier Hypothesen (2a, 2b und 2c) konnten bestätigt werden. Das unterstreicht die Bedeutung dieser Dimension für die virtuelle Teamarbeit.
Mit Bestätigung der
Hypothese 2a wurde ein positiver Effekt der
gegenseitigen Vertrautheit auf den Wissensaustausch nachgewiesen. In erfolgreichen Wissensaustauschsituationen berichteten die Teilnehmenden signifikant häufiger, dass sich die Teammitglieder persönlich kennen und eine Beziehung zueinander besteht. Bisherige Befunde konnten bereits eine positive Wirkung sozialer Verbundenheit und gegenseitigen Vertrauens auf die Bereitschaft Wissen zu teilen nachweisen (Yoon und Rolland
2012). Die vorliegenden Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass sich wahrgenommene Vertrautheit positiv auf die Qualität und den Erfolg des Wissensaustausches auswirken kann.
Die Bestätigung der
Hypothese 2b zur Rolle der
Teamkohäsion belegt die Bedeutung des Teamzusammenhalts für virtuellen Wissensaustausch. In Präsenzteams stellt Teamkohäsion eine Grundvoraussetzung für das Gelingen von Wissensaustausch dar. Dieser Zusammenhang ist empirisch bestätigt (Kakar
2018; Reagans und McEvily
2003). Die vorliegende Studie weist daraufhin, dass das Zusammengehörigkeitsgefühls auch in virtuellen Teams eine wichtige Voraussetzung für Wissensaustausch ist. Dies lässt sich damit begründen, dass ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl die Identifikation mit dem Team unterstützt und dazu beiträgt, Unsicherheiten und Risiken in technologievermittelten Interaktionen zu überwinden (Izmirli
2017). Dies ist eine relevante Grundlage für offene Kommunikation und Interaktion als Grundlagen des Wissensaustausches.
Ebenfalls bestätigt wurde die
Hypothese 2c bezüglich der Rolle
sozialen Komforts. So berichteten einige Teilnehmende, dass erfolgreiche Wissensaustauschsituationen geprägt waren von Spaß und einem offenen und vertrauensvollen Miteinander. Diese positive Atmosphäre fördert die Bereitschaft, sich im Team aktiv mit dem eigenen Wissen einzubringen. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit Befunden zu verwandten Konzepten, wie bspw. Teamklima und Vertrauen. So konnten u. a. Xue et al. (
2012) nachweisen, dass ein unterstützendes Teamklima einen positiven Effekt auf virtuellen Wissensaustausch hat. Gleiches belegen Eisenberg und Krishnan (
2018) für eine vertrauensvolle Atmosphäre.
Hypothese 2d zur Rolle des
gemeinsamen Verständnisses in virtuellen Teams für den Erfolg des Wissensaustausches (Hypothese 2c) konnte dagegen nicht bestätigt werden. Obwohl diese Kategorie häufiger in erfolgreichen Situationen (
n = 20) als in nicht erfolgreichen Wissensaustausch (
n = 8) nachgewiesen wurde, war der Unterschied in der Verteilung nicht signifikant. Dies steht im Gegensatz zu vorangegangenen Studien, die die Bedeutung eines gemeinsamen Verständnisses und geteilter mentaler Modelle für effektiven Wissensaustausch hervorheben (Hong und Vai
2008; Widjaja et al.
2017). Eine mögliche Erklärung für den negativen Befund liegt in den untersuchten Teamarbeitskontexten begründet. Die befragten Teammitglieder berichteten schwerpunktmäßig Erfahrungen in der virtuellen Projektarbeit im IT-Kontext. Im Vergleich zu internationalen Teams mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund, wie sie u. a. von Hong und Vai (
2008) und Widjaja et al. (
2017) untersucht wurden, spielt das gemeinsame Verständnis für diese Teams wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle bezogen auf die Zusammenarbeit und den Erfolg des Wissensaustausches.
5 Limitationen, Implikationen und Fazit
5.1 Limitationen und Implikationen für die Forschung
Die vorliegende Untersuchung basiert auf der Methode der kritischen Ereignisse bzw. auf halbstrukturierten Interviews (Flanagan
1954). Die Verwendung eines standardisierten Kategoriensystems sichert die Objektivität. Dennoch ist die Generalisierbarkeit der Ergebnisse eingeschränkt. Ergänzend sollten somit die vorliegenden Ergebnisse mit einer größeren Stichprobe und standardisierten Erhebungsverfahren validiert werden.
Eine weitere Einschränkung der vorliegenden Untersuchung liegt in Art der Stichprobe begründet. Datenbasis bilden Erfahrungsberichte aus virtuellen Teams in der deutschen IT-Branche. In weiteren Studien ist die Übertragbarkeit der Befunde auf weitere Teamkontexte und Settings zu prüfen. Wie bereits in der Diskussion der Ergebnisse aufgezeigt, können Präsenzkriterien, wie bspw. ein gemeinsames Verständnis, in Abhängigkeit von den spezifischen Anforderungen und Rahmenbedingungen eines Teams, eine unterschiedlich starke Bedeutung für Wissensaustausch haben. Dies könnte die Ergebnisse beeinflussen.
Das Kategoriensystem für soziale Präsenz wurde im Rahmen der vorliegenden Untersuchung aus der Literatur erarbeitet. Die genutzten Kriterien bieten einen übergreifenden Rahmen, der vorangegangene theoretische und empirische Arbeiten integriert und im Kontext virtuellen Wissensaustausches untersucht. Künftig gilt es zu prüfen, ob sich diese Kategorien in anderen Kontexten bestätigen lassen. Auch die Beziehung einzelner Kriterien zueinander und die Stärke der Einflüsse auf den Erfolg virtueller Zusammenarbeit blieb bisher unbeachtet und könnte neue Erkenntnisse liefern. Dabei gilt es in erster Linie zu überprüfen, ob und wie stark eine direkte kausale Beziehung zwischen den Kategorien der sozialen Präsenz und dem Wissensaustauscherfolg nachweisbar ist. Dafür eignen sich beispielsweise experimentelle Feldstudien. Es scheint ebenfalls aussichtsreich, das gemeinsame Auftreten und mögliche Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Präsenzkategorien zu analysieren. Daraus könnten sich Rückschlüsse auf die Häufigkeit des gemeinsamen Auftretens verschiedener Kriterien ergeben und eine gegenseitige Einflussnahme wäre prüfbar.
5.2 Implikationen für die Praxis
Auch in der Praxis ist das Gelingen des Wissensaustausches eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg virtueller Teamarbeit (Hung et al.
2021; Shah-Nelson et al.
2020). Aus den vorliegenden Befunden zur Rolle technologie- und beziehungsbasierter sozialer Präsenz lassen sich konkrete praktische Maßnahmen zur Unterstützung wissensintensiver Prozesse ableiten. Eine Möglichkeit ist, für eine hohe Realitätswahrnehmung zu sorgen, indem gegenseitige Vertrautheit, Teamkohäsion und sozialer Komfort geschaffen werden.
Bezogen auf die technologiebasierte soziale Präsenz ist insbesondere die Realitätswahrnehmung anderer und der eigenen Person durch den gezielten Einsatz reichhaltiger Medien zu fördern. Dazu eignen sich lebendige und realitätsnahe Formen von Kommunikationsmodalitäten, wie bspw. der Einsatz von Avataren. Diese fördern das Gefühl real anwesend zu sein und sich selbst als Teil des Wissensaustausches wahrzunehmen (Oh et al.
2018). Eine besondere Bedeutung für die wahrgenommene soziale Präsenz spielt die visuelle Darstellung der Kommunikationspartner und Teammitglieder. Durch die Verwendung von Videokonferenzen mit gegenseitiger Bildübertragung können nonverbale Signale der Teammitglieder gedeutet und unmittelbares Feedback bei Verständnisproblemen gegeben werden (Karl et al.
2021; Blanchard
2021). Dagegen hat eine fehlende Bildübertragung negative Auswirkungen auf das Erleben der Teamzugehörigkeit und verhindert, dass die Teilnehmer ihre Konzentration auf den Austausch legen.
Für eine hohe beziehungsbasierte soziale Präsenz sind gegenseitige Vertrautheit, Kohäsion und sozialer Komfort im Team zu unterstützen. Das heißt, es sollte nicht nur Präsenz im Sinne des „Da-Seins“ im Vordergrund stehen, sondern das „Gemeinsam-Da-Sein“ (Altschuller und Benbunan-Fich
2010) gefördert werden. So können bspw. gegenseitige Vertrautheit und Zusammenhalt gestärkt werden, indem Teammitgliedern die Möglichkeit geboten wird, sich regelmäßig persönlich und informell auszutauschen (Blanchard
2021; Gupta und Govindarajan
2000). Führungskräfte und Moderatoren sind angehalten, ihr Team zu einer kontinuierlichen Kommunikation zu motivieren. Das steigert die Motivation und fördert gegenseitiges Vertrauen (Zeuge et al.
2020). Eine wichtige Aufgabe der Führungskraft ist es somit, die Beziehungen der Teammitglieder zu stärken. Insbesondere da es virtuellen Teams an informellen, spontanen Kontaktmöglichkeiten mangelt (Leslie et al.
2018). Dazu eignen sich u. a. virtuelle Kaffeepausen, die Raum für informelle, spontane Gespräche geben. Virtuelle Führungskräfte können ebenfalls „Care Calls“ machen, um die Teammitglieder persönlich kennenzulernen (Zeuge et al.
2020). Durch den Aufbau einer zwischenmenschlichen Beziehung zwischen den Mitgliedern wird das Gefühl der Zugehörigkeit, Identifikation und persönlichen Präsenz im Team gestärkt (Shaik und Makhecha
2019). Weitere unterstützende Maßnahmen, wie ergänzende Face-to-Face-Meetings, eine hohe Meetingfrequenz und die konsequente Initiierung von Austauschsituationen, werden für den Aufbau einer vertrauensvollen Atmosphäre in virtuellen Teams diskutiert (Brahm und Kunze
2012; Coutu
1998; Iacono und Weisband
1997; Suchan und Hayzak
2001) und fördern das Erleben eines „Gemeinsam-Da-Seins“ im Team.
5.3 Fazit
In der vorliegenden Untersuchung wurde erstmals die Rolle sozialer Präsenz für den Erfolg von Wissensaustausch in virtuellen Teams untersucht. Grundlage dafür bilden die aus der Literatur abgeleiteten zentralen Kategorien sozialer Präsenz, deren Auftreten in 148 kritischen Wissensaustauschsituationen analysiert wurde. Das verwendete Kategoriensystem erweitert bisherige Konzepte und Untersuchungen zum Einfluss sozialer Präsenz im Kontext virtueller Zusammenarbeit, indem neben technologiebasierte auch beziehungsbasierte Dimensionen sozialer Präsenz Berücksichtigung finden. Erstmals erfolgte die Analyse der Kategorien im Kontext von virtuellen Wissensaustauschsituationen. Die vorliegenden Ergebnisse weisen darauf hin, dass soziales Präsenzerleben für den Erfolg von Wissensaustausch in virtuellen Teams eine wichtige Rolle spielt. Durch gezielte Maßnahmen, wie die geeignete Wahl technologischer Medien, den Aufbau sozialer Beziehungen und die Unterstützung des Zusammenhalts und des Vertrauens in Teams, kann soziale Präsenz in virtuellen Settings gefördert werden.
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